Humorkritik | November 2015

November 2015

»Jesus lacht nicht, zumindest wird es nicht berichtet. Es steht geschrieben, daß er weint, aber nicht, daß er lacht.«
Martin Mosebach

Martenstein macht rüber

Man denke sich eine DDR, die 1989 nicht zusammengebrochen ist, sondern überraschend Erdöl findet und zum reichsten Land der Welt wird: ein Wohlfahrtsstaat mit autoritärer Führung, der bis heute besteht, seine Bürger päppelt und arme Westler an der Einwanderung hindert. Dann denke man sich zwei Journalisten namens Harald Martenstein und Tom Peuckert, die diese fiktive DDR von vorne bis hinten durchschnüffeln und auf allerhand Schreckliches hinter der glänzenden Kulisse stoßen, dessen Höhepunkt ein geheimes Euthanasieprogramm für Regimegegner darstellt; wobei Martenstein, bei allem Rollenspaß, trotzdem Martenstein bleibt und auf seine stumpfe Frivolität auch in der doppelten Fiktion nicht verzichten will: »Vielleicht waren die Mauer und die Stasi ja die Voraussetzung für all das, was ich an der DDR mochte. Das kann sein. Dann bin ich wohl ein Zyniker. Meinetwegen.«

Wer also, kurz gesprochen, an der Denunziation eines aus- und weitergedachten Gruselkommunismus keinen Anstoß nimmt und auch die Frage wegläßt, inwieweit solch ein Buch 26 Jahre nach dem realen Existenzende des real existierenden Sozialismus bloß affirmativ wirkt und systemstabilisierend – der kann sich mit Martensteins und Peuckerts kontrafaktischer Satire »Schwarzes Gold aus Warnemünde« (Aufbau Verlag) durchaus amüsieren. Die Autoren präsentieren uns weniger einen Roman als vielmehr lose Szenen aus einer DDR des 21. Jahrhunderts: »99 Fragen an den DDR-Kulturminister Gregor Gysi« sind eine nette Parodie auf Moritz von Uslar, ein Besuch bei einem anderen DDR-Minister, der rübergemacht habenden Nachwuchshoffnung Karl-Theodor zu Guttenberg, hat Relevanz und Schärfe, weil es eine tatsächlich opportunistische Figur behandelt, die sich jedem System geschmeidig einpaßt. Auch die Idee, daß Erich Honeckers Brille 2015 zum Accessoire von Ost-Hipstern wird, fand ich hübsch. Anstrengend wird es stets dann, wenn die eigene Opferhaltung allzu aufdringlich daherkommt: Wenn der arme, als Broilerbrater undercover arbeitende Martenstein von überheblichen DDR-Kunden so lange schikaniert und beschimpft wird, bis ihm der Kragen platzt und er zurückschimpft, dann muß ich zwar lachen – allerdings weniger über die bolschewistischen Bestien als über das pathetische Würstchen Martenstein, das fürchtet, nun wegen »chauvinistisch-imperialistischer Herabsetzung« ausgewiesen oder ins Gefängnis gesperrt zu werden.

Am schönsten fand ich allerdings, daß Kati Witt als Dschungelcamp-Moderatorin den Walter-Benjamin-Preis verliehen bekommt. »Der Walter-Benjamin-Preis ist etwas ähnliches wie der Bambi im Westen«, heißt es lapidar. Der Kritiker und Vorwegnehmer von reproduzierbarer TV-Trashkunst als Pate eines TV-Trash-Preises: Auf einem derart avanciert dialektischen Niveau bewitzelt zu werden, das hat mir gefallen.

Es ist nicht alles schlecht an diesem Buch. Darf man das sagen? Ich sage es einfach.

Damit bin ich wohl ein Zyniker. Meinetwegen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner