Humorkritik | Juni 2011

Juni 2011

Verschwendete Kunst

Dem satirischen Roman »Die große Verschwendung« (Klett-Cotta), in dem der Schriftsteller und Hamburger Literaturreferent Wolfgang Schömel den kostenintensiven Wahnwitz der Hamburger Elbphilharmonie auf eine fiktive Bremer »Maritime Oper« überträgt und seinen Helden, den zynischen grünen Machtpragmatikus, gefallenen Ehemann und bremischen Senator Dr. Glabrecht, in den Sümpfen lokaler, sich dreiviertelseidenen Investoren ausliefernder »Eventpolitik« schwimmen läßt, kann man sicher viel vorwerfen: daß Glabrecht (als wohl Alter Ego Schömels, der ja weiß, wie lokale Kulturpolitik mit »Leuchtturm«-Anspruch funktioniert) alles ein bißchen zu restlos durchschaut und viel zu weit drübersteht, um komische Fallhöhe zu erreichen; daß Glabrechts melancholische Altherrengeilheit, der es viel um Titten, Ärsche und Internetpornographie geht, dem langweiligen Berufszyniker einen langweiligen Privatzyniker obendrauf setzt; daß, insgesamt, Glabrechts Zynismus um so mehr langweilt, je fugenloser er ist.

In Schutz nehmen muß ich Schömels Roman, der in der Schilderung eines zerbröckelnden Anpasserlebens auch seine Stärken hat, trotzdem, und zwar vor einer Literaturkritik, die zwischen Autor und Erzähler, Realität und Fiktion nicht mehr unterscheiden will; Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung: »Doch weil diese Haßgestalt ständig nur die Schemen reproduziert, die sich einfältige Menschen von den Machenschaften der Politik machen, ist Schömels Porträt eines Provinzsenators nicht komisch, sondern stumpf. Die ständige Simplifizierung komplexer Vorgänge zum Zwecke der Politikerschelte, mit der Schömel seine Demokratie der eitlen Idioten erschafft, ist letztlich Denunziation, nicht Literatur. Und der Gestus des Insiders, der hier vermeintliche Interna aus dem Behördenalltag hinter den schweigenden Mauern der Presseabteilungen hervorzieht, macht dieses Auskotzen eines Fachbereichsleiters eher degoutant.«

Selbst ein degoutanter und denunziatorischer Schlüsselroman hätte aber alles Recht, zuallererst als Literatur, als fiktionales Werk wahrgenommen zu werden. Wo Rezensenten das kleine Besteck der Kritik aus der Hand geben und, statt etwa  Unzulänglichkeiten der Sprache und der Konstruktion zu bemängeln, sich als Schutzherren der Politik aufspielen, sich also ums Bezeichnete statt ums Bezeichnende bekümmern, laufen sie Gefahr, von mir als eitle Stumpfköpfe bezeichnet zu werden, vor denen jede Kunstanstrengung verschwendet ist. Denn Moral ist das eine, Kunst das andere. Ich dachte, das hätte sich herumgesprochen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner