Humorkritik | Juni 2011

Juni 2011

Glänzender Sattelschlepper

Die Erzählungen von David Foster Wallace wirkten auf mich, bei allen noch so gelungenen Momenten, immer wie Stilübungen aus einem Seminar für postmodernes Schreiben. Daher hatte ich eher wenig Lust auf sein 2009 mit viel Begleitgetöse erstmalig auf deutsch erschienenes 1500-Seiten-Trumm »Unendlicher Spaß« (Kiepenheuer & Witsch, jetzt auch als Taschenbuch bei Rowohlt). Erst die mißratene Lesungs-CD (TITANIC 7/10) hat mich ein wenig neugierig gemacht. Zum Glück. Der »Unendliche Spaß« ist nämlich ein ragendes Buch, und zuweilen sogar ragend komisch. Jedoch weiß ich nicht, ob ich dem geschätzten Kollegen Dietmar Dath zustimmen soll, der »Spaß« widerlege den »sehr plausiblen Lehrsatz von Robert Gernhardt, wonach das Genre der satirischen Science-fiction die lange Form nicht vertrage.«

Ohne Frage ist die, jedenfalls zur Zeit der Niederschrift, leicht in die Zukunft versetzte Romanwelt satirisch angelegt: Der amerikanische Präsident, ein ehemaliger Schnulzensänger und »Zwangsneurotiker der Spitzenklasse im Stile des späten Howard Hughes«, hat sein Versprechen, die USA müllfrei zu machen, eingelöst, indem er den Abfall des ganzen Landes in den Neuengland-Staaten sammeln läßt und dieses Territorium an Kanada »verschenkt«. Bei den dadurch notwendigen Umsiedlungen soll »ein so downer-assoziationsmäßiger Begriff wie Flüchtling« unbedingt vermieden werden. Nichts leichter als das: »Der Begriff Flüchtling kann plausibel dementiert werden, wenn weder (a) selbst gebaute, mit materiellen Gütern vollgestapelte Planwagen von langsamen Rindern mit gekrümmten Hörnern gezogen werden noch (b) der Prozentsatz von Kindern unter sechs Jahren, die entweder (a) nackt sind oder (b) sich die Kehle aus dem Hals schreien oder (c) beides, 20% der Gesamtheit von Kindern unter sechs Jahren auf dem Marsch überschreitet.« Also wird »alles Rinderartige mit gekrümmten Hörnern ohne Anruf erschossen«, und Staatsbedienstete »stehen in strategischen Abständen mit glänzenden Sattelschleppern bereit und teilen Gratisbabywäsche der Winnie-the-Pooh-Linie von Sears aus, um etwaige Nacktheit im Keim zu ersticken.«

Doch sind die politischen Gegebenheiten trotz der daraus resultierenden Verwicklungen nur Folie für die zahlreichen, ja zahllosen Figuren des Romans. Die sind nämlich schwerstens damit beschäftigt, sich irgendwie durch ihre ganz persönlichen, gern substanzinduzierten Kalamitäten durchzuwurschteln, um die sie in nüchternem Zustand auch nicht herumgekommen wären.

Wallace pflegt ein ausnehmend liebevolles Verhältnis zu seinem Personal, aber ohne – und das ist eine Regel, die er dann tatsächlich aufhebt – damit die Komik zu zerstören, die bekanntlich eine gewisse Distanz braucht. Die besorgt vor allem sein hyperpräziser Stil mit seinem gewaltigen, aus jahrelanger Lexikonlektüre resultierenden Wortschatz (und manchmal auch stracks erfundenen Begriffen). Beides gleichzeitig gelingt fast keinem. Wallace aber schon – und das sogar über Marathondistanz.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hi, Daniel Bayen!

Sie sind sehr jung und waren mit Ihrer Firma für Vintage-Klamotten namens Strike vorübergehend sehr erfolgreich. Die ist jetzt pleite, machte aber zeitweise 2,9 Millionen Euro Umsatz. Der Bedarf war so groß, dass Correctiv-Recherchen zufolge sogar massenhaft Neuware zwischen die Secondhand-Bekleidung gemischt wurde. Auch Sie räumten demnach ein, gefälschte Ware geordert zu haben. Allerdings, so behaupten Sie, nur, um Ihren »Mitarbeitern zu zeigen, wie man gefälschte Ware identifiziert und aussortiert«.

Aber Bayen, Ihre Expertise besteht doch darin, neue Sachen auf alt zu trimmen. Also versuchen Sie bitte nicht, uns solche uralten Tricks zu verkaufen!

Recycelt Witze immer nach allen Regeln der Kunst: Titanic

 Mmmh, Futterparadies Frankfurt a. M.!

Du spielst in einem Feinschmecker-Ranking, das die Dichte der Michelin-Sterne-Restaurants großer Städte verglichen hat, international ganz oben mit: »Laut einer Studie des renommierten Gourmet-Magazins Chef’s Pencil teilen sich in der hessischen Metropole 77 307 Einwohner ein Sterne-Restaurant.«

Aber, mal ehrlich, Frankfurt: Sind das dann überhaupt noch echte Gourmet-Tempel für uns anspruchsvolle Genießer/innen? Wird dort wirklich noch köstlichste Haute Cuisine der allerersten Kajüte serviert?

Uns klingt das nämlich viel eher nach monströsen Werkskantinen mit übelster Massenabfertigung!

Rümpft blasiert die Nase: die Kombüsenbesatzung der Titanic

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

 Lieber Fritz Merz,

im Podcast »Hotel Matze« sagst Du, dass Du in Deutschland große Chancen bekommen hättest und etwas zurückgeben wolltest. Jawollo! Wir haben da direkt mal ein bisschen für Dich gebrainstormt: Wie wär’s mit Deinem Privatjet, dem ausgeliehenen vierten Star-Wars-Film oder dem Parteivorsitz? Das wäre doch ein guter Anfang!

Wartet schon ganz ungeduldig: Titanic

 Nachdem wir, »Spiegel«,

Deine Überschrift »Mann steckt sich bei Milchkühen mit Vogelgrippe an« gelesen hatten, müssen wir selbst kurz in ein Fieberdelirium verfallen sein. Auf einmal waberte da Schlagzeile nach Schlagzeile vor unseren Augen vorbei: »Affe steckt sich bei Vögeln mit Rinderwahnsinn an«, »Vogel steckt sich bei Mann mit Affenpocken an«, »Rind steckt sich bei Hund mit Katzenschnupfen an«, »Katze steckt sich bei Krebs mit Schweinepest an« und »Wasser steckt sich bei Feuer mit Windpocken an«.

Stecken sich auf den Schreck erst mal eine an:

Deine Tierfreund/innen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster