Humorkritik | Juli 2011

Juli 2011

Doppeltes Peanuts-Glück

Ich hätte schon längst mal drauf hinweisen müssen: Seit 2004 bringt der US-Comic-Verlag Fantagraphics in schöner Regelmäßigkeit zweimal jährlich einen Band der unglaublich liebevoll gestalteten Peanuts-Gesamtausgabe, »Complete Peanuts«, heraus. Alles streng chronologisch, jeweils sind zwei komplette Jahrgänge mit Tages- und Sonntagsstrips enthalten; und weil der große Charles M. Schulz in fünfzig Jahren annähernd 18000 Strips zusammengezeichnet hat, wird das monumentale Projekt erst 2016 abgeschlossen sein. Ich neige sonst nicht zu Superlativen, aber: Feiner hätte das wirklich nicht umgesetzt werden können.

Der kleine Verlag aus Seattle, der schon seit den Siebzigern Comics von Zeichnern wie Robert Crumb, Chris Ware, Daniel Clowes oder den Hernandez-Brüdern veröffentlicht und sich zeitweise nur mit Hardcore-Ferkeleien über Wasser halten konnte, hat den bekennenden Nostalgiker Seth, selbst Comiczeichner (»Palookaville«) mit dem Design beauftragt, und der fabriziert Ausgabe für Ausgabe kleine Stilleben aus dem Schulzschen Vorstadtuniversum und setzt für Überschriften die Feder statt Fonts ein. Dazu kommen Einführungen von mehr (Matt Groening, Jonathan Franzen) oder weniger (Diana Krall, Tennisspielerin Billie Jean King) berufenen Prominenten – und alles zusammen ergibt dann die schönsten Comicbücher, die ich je in Händen halten durfte.

Und der eigentliche Inhalt? Bei den ersten Bänden mit den ganz frühen Jahrgängen habe ich mich vor allem darüber gefreut, wie allmählich die bekannten Figuren auftauchen und sich entwickeln, aber auf Dauer und über Wälzerlänge war der Anteil der schlichten Bildwitze und schalen (oder schal gewordenen?) Pointen doch etwas ermüdend. Indes werden nun die besten Jahre der Serie erreicht, die Sechziger und Siebziger, in denen die Charaktere und die liebgewonnenen Standardsituationen ausgefeilt sind und Schulz sich als Meister der nuancierten Variante erweist.

Die Leiden des ungeliebten Verlierers Charlie Brown, die Infamien der selbstsüchtigen Lucy, die völlig abgedrehten Phantastereien des sich als Geier oder Erster-Weltkriegs-Flieger-As gebärdenden Snoopy, das wiederholt sich alles, nur eben leicht verändert, immer wieder und entwickelt bei so ja nie vorgesehener, kontinuierlicher Lektüre einen sehr eigenen Reiz des Stillstands. Und trotz viel größerer Gleichförmigkeit als in den Anfangsjahren ist die Dichte an immer noch funktionierenden Pointen dabei erfreulicherweise deutlich höher.

Hierzulande steckt der Carlsen-Verlag ein wenig von seinem Harry-Potter-Geld in die deutschsprachige »Peanuts Werkausgabe«. Die Bände erscheinen mit anderthalbjähriger Verzögerung im gleichen Rhythmus, mit bis ins kleinste Detail nachgebautem Design, erfreulich gelungenen Übersetzungen von Matthias Wieland sowie jeweils einem Index und einem hilfreichen Glossar, die man in den amerikanischen Originalausgaben vergeblich sucht. Und da außerdem noch als Einführungen auch mal Texte von Denis Scheck oder gar vom sel. Kollegen Gernhardt zum Einsatz kommen, spricht eigentlich manches dafür, sich die Regale gleich doppelt vollzustellen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg