Humorkritik | Juni 2010

Juni 2010

Ehequatsch mit Jerry

Wenn man als anspruchsvoller Komikkonsument vernimmt, daß der Miterfinder, Produzent und Hauptdarsteller einer der erfolgreichsten und besten Sitcoms der amerikanischen Fernsehhistorie, Jerry Seinfeld, nach über einem Jahrzehnt relativer öffentlicher Zurückhaltung wieder eine TV-Sendung produziert, ist man geneigt, sich diese anzusehen. Erfährt man dann, daß die Sendung zwei der schrecklichsten Formen vereint, die das Medium je hervorgebracht hat, nämlich Reality- und Panelshow, wird man skeptisch. Und betrachtet man das Ergebnis, werden sämtliche Befürchtungen bestätigt.

 

Die Sendung, sie heißt »The Marriage Ref«, funktioniert so: In Einspielfilmen werden Konflikte vermeintlich ganz normaler Amerikaner vorgeführt, zumeist Harmlosigkeiten der Art, ob der repräsentative Speiseraum nur an Thanksgiving oder auch zu Pokerabenden genutzt werden darf (raten Sie mal, welche Position die Gattin, welche der Gatte vertritt). Drei prominente Gäste, häufig Komiker, beraten darüber,  und ein Moderator, der letztlich der »Eheschiedsrichter« ist, entscheidet. Dabei geht es nicht um Eheberatung, sondern um die Frage: Wer bekommt recht?

 

Eine Show also, die von Rudi Carrell hätte erfunden werden können und entsprechend stupide Abendunterhaltung samt übermotiviertem Klatschvieh bietet: Die Einspieler sind von jener inszenierten Realität, die man aus »Super-Nanny«, »Bauer sucht Frau« und überhaupt fast dem ganzen TV-Programm kennt, Spontaneität wird durch vorgeschriebene Witze und Plots verhindert, vermeintliche Experten geben unbedeutende Zusatzinformationen, und der Moderator versteckt erfolgreich sein minimales Talent hinter einer schmierigen Fassade. Das einzige komische Potential der Sendung, das darin liegen könnte, bekannte und schlagfertige  Menschen über Beziehungsprobleme streiten zu lassen, mit denen sich ja nahezu jeder identifizieren kann, wird verschenkt: Zum einen sind die Gäste, selbst wenn Seinfeld vernetzt genug ist, um z.B. Larry David, Madonna und Ricky Gervais gemeinsam ins Studio zu bekommen, außerhalb ihrer Kunstfiguren nur halb so wirkungsvoll. Zum anderen wird jegliche Brisanz der Form geopfert, so daß spätestens durch die offensive Nachbearbeitung die Paneldiskussionen zu einer Aneinanderreihung öder Pointen werden. Besonders gut ist dies an der Episode mit dem nah an seiner »Curb«-Persona agierenden David und Madonna zu sehen. Man kann in der Endfassung höchstens noch erahnen, welche Reibung dieses Aufeinandertreffen grundverschiedener Welten produzierte.

 

Wäre Jerry Seinfeld nicht, wer er ist, es hätte die Sendung sicherlich nie gegeben; und mir wäre die Erkenntnis erspart geblieben, daß er bei seiner Sitcom wohl hauptsächlich zur richtigen Zeit die richtigen Leute getroffen hat. Bereits da war zu erkennen, daß die Hauptquelle seiner Inspiration die Mann-Frau-Beziehung ist. Daß er nun aus ihr nur noch faulen Budenzauber zu gewinnen vermag, muß einen alten Verehrer ärgern.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg