Humorkritik | Juni 2010

Juni 2010

Oho, Ubu!

Manchmal erlebt man beim Lesen eines Komik-Klassikers eine Überraschung: Das Ding ist wirklich komisch! Die Überraschung ist noch größer, wenn es sich um Stücke für die Bühne handelt, die auf dem Papier meist nicht ihre beste Wirkung entfalten. Mit anderen Worten: »König Ubu« von Alfred Jarry hat bereits über hundert Jahre auf dem Buckel und ist dennoch frisch geblieben. Mehr noch: Auch die Fortsetzungen »Ubu Knecht« und »Ubu Hahnrei« sind starke Stücke.

 

Da tragen die Leute Namen wie »Pissinpott« und »Pissmild«, man flucht ganz unköniglich »Himmelhundsfottsakrament!«, ein leibhaftiges Gewissen wird im Koffer herumgetragen und ab und zu von seinem Besitzer, einem »Doktor der Pataphysik«, um Rat gefragt, der daraufhin das Gegenteil tut; eine »Enthirnungsmaschine« kommt ebenso zum Einsatz wie die »ganze polnische Armee« und ein einzelner Bär; und wenn Ubu seine Königsbürde los sein will, seine Gemahlin ihn fragt: »Aber wovon sollen wir denn leben?«, er antwortet: »Von unserer Hände Arbeit, Mutter Ubu!«, worauf Mutter Ubu ruft: »Was, Vatter Ubu, du willst die Passanten niederschlagen?« – dann ist das hier völlig normal: Die gewohnte, manierlich geordnete und nach einem festgelegten Schaltplan funktionierende Welt auf den Kopf zu stellen ist Sinn und Zweck dieser Komödien, für die das Wort »Komödie« eigentlich zu schlapp ist.

 

Zugleich schimmert bei aller anarchischen Lust, durch alle Freude am destruktiven Spiel eine tiefere Weisheit durch, eine klare Ahnung vom widersprüchlichen Wesen der herrlichen, absoluten Freiheit – etwa wenn in »Knecht Ubu« der »erste freie Mann« den zweiten fragt: »Wohin gehen Sie, Kamerad? Zum Exerzieren wie jeden Morgen?«, und der »zweite freie Mann« antwortet: »Der Gefreite hat mir verboten, zu dieser Morgenstunde zum Exerzieren zu gehen. Ich bin ein freier Mann. Ich gehe jeden Morgen hin.«

 

König Ubu fasziniert, weil er die guten Benimmregeln mißachtet und einem lästigen Gegenüber einfach den Schädel spaltet, statt es mit heuchlerischen Reden einzuseifen, weil er so frei und frech ist, seiner Machtgier und Habsucht die Zügel schießen zu lassen, unbekümmert heute so und morgen anders spricht und seine Triebe auslebt, als wären alle anderen Leute und die ganze Welt nur für ihn da; oder, wie es Alfred Jarry selber auf den Punkt brachte: »Herr Ubu ist ein gemeiner Mensch, deshalb ähnelt er uns allen (unten herum).«

 

Jarrys »Ubu«-Farcen, welches Wort es vielleicht ein wenig besser trifft, sind Dadaismus, Surrealismus und absurdes Theater, bevor es diese Genres gab, und also besser: Sie sind nicht nach einem irgendwie verbindlichen Muster zurechtgehobelt, sondern allein mit der wilden Kraft der eigenen Willkür zusammengestoppelte, wüste Sachen. »Mein Herr, ich habe einem recht sonderbaren Schauspiel beigewohnt«, sagt einer in »Ubu Hahnrei«, und das mittendrin. Ich aber gehorche der bürgerlichen Norm und sage es zum Schluß.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg