Humorkritik | Februar 2008

Februar 2008

Die Sopranos

Wenn man eine Pointe als Nichterfüllung von Erwartungen definieren möchte, ist David Chase mit dem Ende der letzen Folge der finalen Staffel seiner »Sopranos« eine große gelungen. Wie unkonventionell hier eine Erzählung aus dem festgefügten italo-amerikanischen Mafia-Genre beendet wurde, läßt sich u. a. daran ersehen, daß zahlreiche Zuschauer in Internetforen äußerten, von der Couch aufgesprungen und irritiert an den Kabeln ihrer Empfangsgeräte gerüttelt zu haben. Die letzte Schwarzblende der tatsächlich für einen deutlichen Qualitätsschub in amerikanischen Fernsehproduktionen verantwortlichen Serie blieb für Tage Gesprächsthema in Presse, Funk und Fernsehen.

 

Die Schlußsequenz, die sich filmästhetisch deutlich vom Rest der Serie unterscheidet, verdichtet einige Aspekte des oft unterschätzten komischen Konzepts der »Sopranos«: Neben dem satirischen Anspruch – die letzte Folge trägt den Titel »Made in America«, und die letzten Szenen spielen, erstmals im kompletten Werk, in einem klassischen American Diner – ist es der zitierende und Erwartungen enttäuschende Erzählstil. So werden Gefahren heraufbeschworen, von denen jeder weiß, worauf sie im Mafiafilm hinauslaufen: Rachefeldzüge, Familienkriege, Blutbäder. Nicht daß die »Sopranos« ohne Gewaltdarstellungen auskämen oder die Mafiosi auf Mord, Totschlag, Erpressung usf. verzichten würden, doch scheinen diese Mittel nie systematisch oder wohlorganisiert zum Einsatz zu kommen. Die Gefahren verschwinden genauso, wie sie entstanden – durch Banalitäten, Eitelkeiten und Zufälle.

 

Dies vermittelt dem Zuschauer ein vermeintlich realitätsnahes Szenario, das die Grundlage für ein komikträchtiges Aufeinandertreffen von Gegensätzen bildet. Für Panikattacken, Psychotherapie, scheidungswillige Ehefrauen, trotzige Töchter, verwöhnt-verweichlichte Söhne, esoterische Schwestern, drogensüchtige oder homosexuelle Untergebene und senile Onkel stellt kein Regelwerk praktikable Lösungen zur Verfügung, und allein die Versuche, diese Widersprüchlichkeiten zu bewältigen, werfen einiges an Komik ab: vom Dialogwitz bis hin zu schönen Running Gags. Etwa jene wiederkehrende, in allen Varianten durchgespielte Diskussion, ob Tony seine Mutter nun in ein Altersheim oder in eine Seniorenresidenz gegeben habe. Überhaupt ermöglichte der Charakter der Mutter, die einem Woody Allenschen Albtraum entsprungen sein könnte, die unterhaltsamsten Konflikte.

 

Einen Mafiaboß, dessen Moralgerüst Frauen entweder als Heilige oder Huren kennt, bei einer Psychotherapeutin die eigene Mutter als Ursache für Panikattacken ergründen zu lassen, ist an sich schon ein komischer Plot. Wenn die Mutter dann noch in ein Mordkomplott gegen den eigenen Sohn verstrickt ist (ob absichtlich oder aufgrund von Demenz, wird offengelassen), ergibt sich ein sehr vielschichtiges Spiel. Mit dem Tod der hervorragenden Darstellerin von Tonys Mutter verlor die Serie nach der zweiten Staffel ein wichtiges Element.

 

Trotzdem gelang es David Chase und seinen Mitstreitern, bis zum Ende der sechsten Staffel eine genuin komische Erzählhaltung in einem Genre zu finden, das sonst entweder bierernst oder parodistisch-albern (wie z.B. in dem im Plot ähnlichen Film »Reine Nervensache«) auftritt. Ein Mafiaserienangebot also, das man als DVD-Käufer besser nicht ausschlägt.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg