Humorkritik | Februar 2008

Februar 2008

Busch und die Folgen

Die Zeit hat das gesamte Feuilleton ihrer letzten Ausgabe im Jahre 2007 der »Frage nach dem Wesen des deutschen Humors« gewidmet. Anlaß bot der »100. Todestag von Wilhelm Busch am 9. Januar«. Sein Andenken ehrt der weise F.W. Bernstein höchstpersönlich, am Ende Robert Gernhardt zitierend: »vollkommen komisch… vollkommen herzlos… herzlich flach.« Wird dies herzlose Fazit »unserem liebsten Klassiker, dem großen Wilhelm Busch« (Die Zeit) vollkommen gerecht? Allerdings.

 

Ist Busch in dieser Hinsicht repräsentativ für das Wesen der deutschen Komik? Hat seine Art zu zeichnen und zu reimen hierzulande Schule gemacht? Nö.

Fast alles, was sonst in der Zeit zu diesem Thema steht, spricht jedenfalls radikal dagegen. Von den sechs deutschen Zeichnern, deren »Hommagen an den deutschen Großmeister« dort abgedruckt sind, hat nicht einer inhaltlich oder formal mit ihm viel zu tun. Keiner kommt ihm nahe – einige, weil sie es einfach nicht können (hier ragen die zwei Bildergeschichten nach unten heraus), andere (Rattelschneck und Sowa), weil sie es offensichtlich nicht wollen.

 

Der Leitartikel von Jens Jessen widmet sich einer Spielart der literarischen Komik, dem »Abgrund des Absurden«, den er als typisch deutsch empfindet. Nach einer seitenlangen Windung landet er bei Ernst Jandl und der Erkenntnis, »daß aus dem Spiel am Ende das Grauen hervorbricht«. Womit wir wieder bei dem Lachen wären, das dem deutschen Feuilleton das liebste ist: dem, das im Halse steckenbleibt.

 

»Die Lieblingshumoristen der Zeit-Redaktion« sind bunt gemischt – Wilhelm Busch ist nicht dabei, ebensowenig wie Nestroy, Kraus oder Tucholsky, Gernhardt, Henscheid oder Waechter. Dafür reicht der Bogen vom barocken Romancier Christian Reuter (Benedikt Erenz) bis zur »Spätfeministin« Anke Engelke (Katja Nicodemus). Gegen Geschmacksurteile sage ich grundsätzlich nichts, die Begründungen sind allerdings verdächtig: Helge Schneider wird als »Dadaist« verehrt (Jessen), Loriot als Gesellschaftsreformer (Marcus Krämer), Karl Valentin von »den beiden größte(n) Dramatikern des 20. Jahrhunderts … Bert Brecht und Samuel Beckett« geadelt (Peter Kümmel), und Peter Hacks ist für seine Verehrerin Evelyn Finder »selbst der beste Beweis seiner Theorie der höheren Komik«. Eigentlich fehlt nur noch der »höhere Blödsinn«, der gewöhnlich Morgenstern unterstellt wird – doch den preßt Ullrich Greiner in Begriffe, die er »bei Kant auszuleihen« gewagt hat. Immerhin schwingt im Begriff »reine Komik« die Erkenntnis mit, daß es ausschließlich darum geht, andere zum Lachen zu bringen, und daß jede andere Absicht durchaus störend wirkt.

 

Im Feuilleton der Zeit dürfte allerdings eher das unwillkürliche Lachen, das Lachenmüssen, als störend empfunden werden, denn die dortigen Humoranalysten widmen sich im weiteren den Niederungen des Kölner Karnevals (wird angeblich oft unterschätzt) und der aktuellen deutschen TV-Comedy (kann man kaum unterschätzen).

Um sich gedankliche Anstrengungen zu ersparen, läßt Hanns-Bruno Kammertöns die greifbaren Verdächtigen selbst zu Wort kommen. All diese Porträts sind so sauertöpfisch und farblos, daß man schon dankbar ist für die Perspektive eines offenbar übellaunigen Gerhard Polt, der sich den grundsätzlichen Fragen von Kammertöns mit dem praktischen Hinweis entzieht: »Sobald alle Sender mit Kochprogrammen und Comedians voll sind, muß es etwas Neues geben. Meinetwegen lernen die Leute dann, Gitarre zu spielen.«

 

Im Interview dürfen sich dann zwei Journalisten über deutschen Humor äußern, deren Qualifikation ausschließlich in ihrer nichtdeutschen Herkunft besteht. Die Erwartung ist dementsprechend gering und wird von ihrer Sachkenntnis nicht enttäuscht. Jener der Zeit-Kollegen ist sie nicht unterlegen.

Reflexartig werden die Bewertungen vergeben: Natürlich gilt die größte Mißbilligung »Deutschlands aktuellem Obercomedian«, Mario Barth, die größte Begeisterung dagegen dem »großartigen Comedy-Duo Zärtlichkeit mit Freunden«. Für das wohl spricht, daß es weitgehend unbekannt ist. Seiner Berufung kommt ZMF zudem unter schwierigsten sozialen Voraussetzungen (Kind, Zahnarzt, kleine Säle) nach: »ZMF gehört in die Riege der aneinander geketteten Männer des absurden Theaters«, und Augenzeuge Peter Kümmel ist natürlich begeistert: »Die beiden Herren unter ihren Spaßperücken sind viel näher bei Beckett (Samuel) als bei Barth (Mario).« Irgendwann müßte ich mir über Barths Wirkung einmal Gedanken machen, denn die Qualität seines Materials läßt sich bestreiten – daß er Energie hat, steht aber außer Frage.

Über Kümmels persönliche Vorlieben möchte ich, wie gesagt, nicht streiten, gegen die Art von Studententheater, die er beschreibt, habe ich auch nichts; ich bezweifle nur, daß ZMF »geistige Grundversorgung, Humorversorgung leisten«, und den Wunsch, der dort zum Schluß in unser aller Namen daraus abgeleitet wird, möchte ich mir ausdrücklich verbitten: »Und wir wünschen ihnen (und den Deutschen), daß irgendwann alle was davon mitbekommen.« Kann man es ungelenker ausdrücken?

 

Und das führt mich zu der Frage: Warum beschäftigen sich Philister, deren Komikverständnis professionell deformiert ist, mit diesem heiklen Thema? Und wenn es denn jubiläumstechnisch schon sein muß: Weshalb geben sie sich dann so wenig Mühe, daß selbst ein verhältnismäßig anspruchsloser Leser wie ich leicht verstimmt zu Wilhelm Busch greifen muß: »Dumme Gedanken hat jeder, aber der Weise verschweigt sie«?

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg