Humorkritik | September 2006

September 2006

Ingtheit, Lertheit, Unkelung

Auf einem Bücherflohmarkt habe ich aus einer großen Kiste heraus zehn Bücher gekauft. Für zwei Euro insgesamt. Das ist eigentlich noch nicht weiter schlimm oder erwähnenswert. Darunter war aber eine Schrift aus dem Verlag Freies Geistesleben, mit dem Titel »Cultura. Zehn Essays von Fritz Götte«, erschienen im Jahre 1952. Eine Sammlung von Aufsätzen, in denen sich der Verfasser laut Vorwort die Aufgabe stellt, Sinnesbeobachtung und Denken an geringen, ja verachteten Gegenständen unseres Alltags zu üben und ihre Idee, den ihnen innewohnenden Geist zu entdecken.
Als »geringe, ja verachtete Gegenstände« galten dem überaus aktiven Mitarbeiter anthroposophischer Verlage und Zeitschriften die Hand, der Bergbau, das Eigentum, aber auch der Hammer und die Biene. Ein erster Blick hinein entbarg mir auf Seite 101, Kapitel Biene, den Satz: »Der süße Honig erkraftet den Menschen in seinem Ich bis in seine leidenschaftgetrübte Leiblichkeit hinein.« Ich geriet in einen gelinden Zustand der Erschüttertheit, klappte zu und dachte sofort: Du mußt etwas dagegen unternehmen. Sonst ergreift das Steinersch begeistete Geschwiemel eventuell Besitz von dir. Solche Formeln wie »leidenschaftgetrübte Leiblichkeit« rühren nämlich oftmals »tiefste Fragen« nach der »menschlichen Daseinsbedingtheit« auf.
Und wirklich: Am nächsten Tag las ich ein FAZ-Interview mit Christoph Schlingensief. Was er mache, habe »mit Kunst zu tun, mit Theatralik, Theater, gleichzeitig der Öffnung und Erweiterung von Theater. Das Thema ist Unerlösbarkeit.« Genau, die Unerlösbarkeit. Auch der Philosoph Hinrich Knittermeyer rechnete sie unter die »Grundgegebenheiten des menschlichen Daseins«. Obwohl doch der Mensch in all seiner »Personhaftigkeit« (F. Heer) seine paar Erdentage eigentlich in »erlösungsbedürftiger Geschaffenheit« zubringt. Oder sogar im »Gnadenstand der Auserwähltheit« (T. Stift).
Th. Lessing hörte ganz persönlich gar den »Qualenschrei der Nichterlösbarkeit«, ausgestoßen »in götterlos gewordener Naturtatsächlichkeit«. Bzw. in »tiefster Seinsverdunkelung« (Heidegger), »existentieller Ausgesetztheit« (J.L. Atkinson), »transzendentaler Obdachlosigkeit« (H.E. Holthusen), »kosmischer Preisgegebenheit« (E. Meister) oder sogar dem Unterstelltsein unter die »Zollbehördlichkeit« (Ringelnatz).
Jaja, »das Diadem der Gottentstammtheit« (H. Conradi) ist im Pfandhaus, der »Gotterfülltheit«, laut Plotin eine »ekstatische Erhebung«, die Luft ausgegangen, »Gotteskindschaft« (Tolstoi), »Gottesteilhaftigkeit« (W. Hellpach), »Ebenbildhaftigkeit« (Broch), »Gottähnlichkeit« (Mephisto) und »Gottebenbildlichkeit« (Ratzinger) sind mit den Jahren eher zweifelhaft geworden. Auch wenn der Mensch eventuell, wie etwa Schlingensief, »schöpferische Welt-Ergriffenheit« (Dr. Ewalt Kliemke) beweist, sich als »Prachtexemplar der unbefiederten Zweibeinigkeit« (Nestroy) geriert und dabei zwischen den »Polen der Daseinsalarmiertheit und der Lebenserschlaffung« (P. Straßer) unterwegs ist, bleibt er doch »dunkler Schicksalsverflochtenheit« unterworfen.
Womit wir im Bereich der heideggerösen »Schlechthinnigkeit der Daseinsunmöglichkeit« wären. Dem »Hineingehaltensein«, der »Seinsverlorenheit«, der »Todverfallenheit«. Das Bekenntnis zur »Unerlösbarkeit« sei jedoch »nicht fatalistisch, das ist ein ganz großes Ja zum Leben«, so Schlingensief im FAZ-Interview. Bzw. ein »Ja zur Kreatürlichkeit« als Abart christlicher Güte, um es direkt pastoralreferentiell zu sagen.
Es scheint, daß wir im »Welthorizont des menschlichen Selbstvollzugs« (H. Thielicke) stecken bleiben und uns dem Muff-Geist der Aftigkeit, Barkeit, Entheit, Lngtheit, Iertheit, Ierung, Lichkeit oder Unkelung nicht entziehen können. Gerade jetzt, wo die »Grundbefindlichkeit« des deutschen Volkes, dem man insgesamt eine »Klinsmannisierung« angedeihen lassen will, in einem Zustand der »Unverkrampftheit« vor sich hin köchelt, nimmt die »Faselhanshaftigkeit« (Kierkegaard) weiter zu, womöglich bis »ein Zustand der Betrunkenheit« (I. Kant) erreicht ist. Obwohl die »Grenzen der Wollbarkeit« (H. Meyer) für dieses Vokabularium der wirrwarrqualligen »Behauptenheiten« (Hölderlin) längstens überschritten sind. O diese »irdische ärmliche Beengtheit« (E.T.A. Hoffmann)!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg