Warum das Smartphone schlimmer als Hitler ist und der Bio-Apfel uns nicht rettet
Ein Auszug aus Harald Welzers "Die smarte Diktatur"
Die Wahrheit ist: Wir leben, ohne es kommen gesehen oder je gemerkt zu haben, längst in einer Diktatur. Der digitalen Diktatur. Die größte Gefahr für unsere westliche Demokratie kommt unscheinbar daher. Ihr Hakenkreuz ist ein angebissener Apfel, ihre Soldaten eine Armada aus Telefonen, die über den großen Teich zu uns herüberschwappen. Das Dritte Reich war verglichen mit dem, was uns heute widerfährt, erst die Vorstufe: personalisierte Banner-Werbung, Spam-Mails, Menschen, die nur noch über Whatsapp und Zwitter kommunizieren. Man muß sich das einmal vor Augen führen: Heute, im Zeitalter des Internets und mit dem Einzug der Technik noch in den allerletzten Winkel unserer Privatsphäre, wäre es vollkommen unmöglich, Flüchtenden Unterschlupf zu gewähren. Dort, wo der Jude früher einmal seinen Platz gefunden hatte – hinterm Schrank oder neben der Telefonanlage – steht jetzt längst ein Modem, ein Drucker oder ein Grammophon. Die Technik ersetzt den Menschen, und die Schwachen trifft es zuerst.
Warum lassen wir das zu? Weil es so bequem ist. Klar, die Technik hat auch Vorteile. Ich kann heute mit einem Computer theoretisch innerhalb weniger Minuten eine SMS schreiben, das war vor hundert Jahren noch undenkbar. Aber die Technik verblödet uns auch, und wir verlernen das Wesentliche. Wann waren Sie das letzte Mal am Brunnen Wasser holen? Wissen Sie überhaupt noch, wie ein Eimer funktioniert? Wir haben jeden Tag die Möglichkeit, aus dem System auszusteigen. Bio kaufen reicht da nicht. Selber machen lautet die Devise: Einfach mal selbst die Bremsscheiben reparieren, mit Waldkräutern und Fliegenpilzen experimentieren statt zum Arzt zu gehen, Schnaps selber brennen und einfach mal ein paar Jahre im modrigen Kellerloch bleiben, anstatt in den Urlaub zu fliegen. Ich lebe so seit vielen Jahren, und es hat mir nicht geschadet. Mit dem Internet und all den modernen Gadgets kommt eine ganze Kaskade an unmenschlichem Gedöns auf uns zu, und die Demokratie wird Schluck für Schluck ausgehebelt. Versuchen Sie mal mit einem I-Phone und einem Laptop über die einfachsten Grundsatzprobleme unserer Gesellschaft zu diskutieren. Da kommt rein gar nichts von Seiten der Technik, außer dann und wann einmal ein verhaltenes Vibrieren oder irgendein "Pieps" oder "Tuut", und am Ende schalten sich die feinen Herren Geräte auch noch einfach selbst ab. Das hat mit Dialog, so wie ich ihn auf dem Gymnasium noch gelernt habe, nun wahrlich nichts mehr zu tun.
Wer mit moderner Technik kommuniziert, muß zwangsläufig verblöden. Wir merken das aber leider nicht mehr, weil wir längst drauf und dran sind, den Verstand zu verlieren. Das ist durchaus gewollt so. Ein Beispiel: Während ich immer weniger verstehe, wissen die Internetkonzerne alles über mich! Alles! Denn all diese bunten Apps sind nur trojanische Pferde, mit denen die Konzerne meine Gedanken stehlen wollen. Das sollte viel mehr Menschen außer mir angst machen. Die Welt ist in Gefahr, und nur ein klarer Kopf kann uns retten.
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