Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Whatever works
Der Ansicht, der ganze bundesrepublikanisch kapitalistische Laden sei eine Art Gesamtskandalon aus stetig sich verschärfender Ausbeutung hie mal ungebremst ungehemmter Selbstbedienung da, kann von freiheitlich demokratischer Seite mit dem Hinweis begegnet werden, ein Skandal sei solange nicht welterschütternd, wie die freiheitlich demokratische Ordnung immer wieder dafür einstehe, ihn aufzudecken. „Wo Macht ist, gibt es Machtmißbrauch, aber solange ich dagegen protestieren kann, ist das in Ordnung“, hat der nationale Regisseur v. Donnersmarck („Das Ministerium für Liebe und das wunderbare Leben der anderen“) diese Denkfigur mal verdichtet, die auf der Überzeugung fußt, es sei nun einmal, wie es sei, und wo was nicht zu ändern ist (und auch nicht geändert werden soll), ist die Möglichkeit, sich zu beschweren, alles. (Der reale Sozialismus hat diese Figur umgedreht: Es ist doch nun alles geändert worden, wozu sich also, bitte sehr, beschweren?)
Beschwerdeführer sind dabei in erster Linie Journalisten, insonderheit jene, die sich der Aufdeckung von als skandalös empfundenen Verhältnissen verschrieben haben. „ZDF-Doku erhebt Vorwürfe: So grillt Burger King seine Franchisenehmer“, faßte Bild gewohnt glutvoll die jüngsten Recherchen eines Fernsehteams zusammen, wonach der selbsternannte (und aber ewig zweitplazierte) Burger-König seine neuen Profitziele mit verschärftem Druck auf die Lokalbetreiber verfolgt, die dann entweder faillieren und im Schuldturm landen oder den Druck an ihre Lohnkräfte weitergeben: „[Wegen eines zu hoch dotierten Altvertrags] habe ihn der neue Filialleiter rausmobben wollen. Er habe ihm aufgetragen, mit einer Kelle Kaugummis von der Straße vor dem Laden zu kratzen. Solange, ,bis ich meine eigene Kündigung unterschreibe', sagt der ehemalige Mitarbeiter dem ZDF. Die Schikanen am Arbeitsplatz seien so schlimm gewesen, daß er schon an Selbstmord gedacht habe.“
„Das ist soziale Marktwirtschaft / langweilig wird sie nie.“ Blumfeld, 1994
Da wird er nicht der einzige sein; und also gut, daß das mal ans Licht kommt. Wie es ja auch gut gewesen ist, daß 2011/2012 die Usancen im Paketzustellgewerbe ans Licht gebracht wurden, sogar doppelt, von Wallraff und einem Undercover-Journalisten des NDR („Sie wollen einen Betriebsrat? Ich bin Ihr Betriebsrat!“); weshalb der inkriminierte Paketzusteller GLS ja auch keine Schrottlohnkräfte mehr beschäftigt, Betriebsräte fördert und seine Auslieferungsfahrzeuge mit Kühlschrank und mobiler Espressomaschine bestückt. Oder nicht? Geht am Ende alles seinen schäbigen Gang? Weil es halt einen Markt fürs Paketverschicken gibt, auf dem sich eins behaupten muß, und kein noch so investigatives Fernsehen daran etwas ändern kann? „Es geht ihm, wie jedem Unternehmer, um die Kohle“, erkannte ein kommentierender Leser auf Spiegel online und meinte mit „ihm“ den Babykostunternehmer Hipp, der für die Qualität seiner Produkte zwar mit seinem Namen steht, aber über eine Tochterfirma fürs Billigsegment hochverzuckerten Kindertee verkaufen läßt. „Der Gewinn am Jahresende muß stimmen. So funktioniert die Wirtschaft nun mal.“
Und dann kommt der Journalismus und fragt kritisch bei Hipp nach, und die Hipp-PR-Abteilung beeilt sich zu versichern, der Zuckerzusatz werde selbstverständlich reduziert usw., und nächste Woche spätestens ist das alles vergessen und die nächste Sauerei entdeckt. Daß dabei über eine Ordnung, in der es nicht ganz so vorrangig wäre, ob der Gewinn am Jahresende stimmt, nicht nachgedacht werden kann, versteht sich schon aus Zeitgründen von selbst.
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