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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Keine Chance

Wieder einmal Henscheids „Maria Schnee“ gelesen, doppelte Glücksempfindung gehabt: einmal, weil das Buch so schön ist und noch viel schöner als bei der Erst- bis Drittleküre war (auch für Bücher muß man im richtigen Alter sein, und für „Maria Schnee“ bin ich’s jetzt), zum anderen, weil ich fand, daß alles, was mir vor bald zwanzig Jahren in meiner Examensarbeit dazu eingefallen war, sich als immer noch richtig und stichhaltig erwies, ich sogar Sätze sah, die, damals überlesen, mein „Gewäsch“ (Zweitgutachter Dr. Sch., sinngemäß) ganz wunderbar bestätigten. So daß mich einen halben Tag lang der Gedanke umtrieb, das mit dem Schriftstellern eine Weile sein zu lassen und lieber (mittels „Maria Schnee“) den Doktor nachzuholen.

Mutatis mutandis ähnlich mag’s jetzt dem Soziologen Oliver Nachtwey gegangen sein, der den Doktor freilich schon hat und in seinem Buch „Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne“ (Suhrkamp) die „radikalisierte Chancengleichheit“ in der „prekären Vollerwerbsgesellschaft“ kritisiert: Gerechtigkeit bedeute nämlich längst nicht mehr „den Ausgleich vertikaler Ungleichheiten als vielmehr in erster Linie die Verringerung horizontaler Diskriminierungen entlang kultureller Merkmale. Die Schlüsselbegriffe dieses Gerechtigkeitsdiskurses sind nicht mehr soziale Ungleichheit und Ausbeutung, sondern Gleichberechtigung und Identität.“ Natürlich sei gegen z.B. den gleichberechtigten Zugang von Frauen zu Führungspositionen nichts zu sagen, doch verschärfe sich das Problem in der Vertikalen: „Auch in einem formal chancengleichen System bleiben die Aussichten für die Kinder reicher und gebildeter Eltern am Ende besser. Über Seilschaften und Startvorteile können Privilegien unsichtbar vererbt werden“, und Bourdieus feine Unterschiede sorgen dafür, daß oben meist wieder nur „die Kinder der Eliten“ landen.

„Hermann war nahe dran, sich nach dem Tier zu erkundigen, welches hinter dem Schranke wohnte, es kribbelte in ihm, doch unter allen Umständen wollte er das Tier ja vergessen und nicht gesehen haben.“ Henscheid, 1988

Chancengleichheit sei „das Gerechtigkeitsprinzip einer individualisierten Gesellschaft, denn mit ihr werden Autonomie, Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung radikalisiert, die Konkurrenz der Individuen innerhalb und zwischen den Gruppen wird erhöht, und schließlich werden soziale und solidarische Bindungen untergraben“ – mit dem heiklen (auch von Franz Walter schon notierten) sozialpsychologischen Effekt, daß die Dummen, die ihre Chance nicht genutzt haben, nicht mehr auf die Idee kommen, jemand anderes als sie selbst könnte am eigenen Scheitern schuld sein. „Kurzum: Je mehr eine Gesellschaft auf Chancengleichheit setzt, desto ungleicher wird sie, und desto legitimer werden die Ungleichheiten. Zwar wird die Gültigkeit des Leistungsprinzips immer weiter abgeschwächt, doch haben weiterhin alle die (vermeintlich) gleichen Chancen: Die Verlierer sind dadurch die verdienten Verlierer und die Gewinner die verdienten Gewinner.“

So. Und nach all dem liest Dr. Nachtwey nun vielleicht auf Spiegel online von der Umfrage des Allensbach-Instituts, wonach „die sogenannte Generation Mitte“, also die Deutschen zwischen 30 und 59 Jahren, erstens zufrieden mit ihrer Lage ist und zweitens aber findet, „daß Vermögen und Einkommen in Deutschland unfair verteilt sind. Höhere Steuern für Reiche und mehr Geld für Arme lehnt sie aber ab. Was denn nun?“ Der Widerspruch löst sich auf, wenn wir das zur Chancengerechtigkeit Gesagte ernstnehmen, denn zwar wird „der Zugang zu Bildung und dem Gesundheitssystem von einer übergroßen Mehrheit als Gradmesser für eine sozial gerechte Gesellschaft angesehen“, mithin: gleiches Chancenrecht für alle! „Grundsätzlich haben die 30- bis 59jährigen jedoch wenig Probleme mit Ungleichheit – solange diese auf die eigene Leistung zurückzuführen ist. Im Gegenteil, sie fordern sogar deutliche Unterschiede als Ausdruck von Gerechtigkeit“, denn die Chance auf Lohn durch Leistung hat ja jede/r, und wem es besser geht, dem geht es verdientermaßen besser. „Arm und Reich sollen sich annähern – aber ohne Umverteilung. Die Gesellschaft soll sozial gerechter werden – aber die Einkommen sollen sich deutlich unterscheiden. Die Generation Mitte, sie ist auch eine ,Generation Zwiespalt’.“

Schön (und sowieso pro domo) gesagt. Richtig ist vermutlich, daß, wer profitiert, nicht will, daß es sich ändert, egal was er sonst noch findet. Bigott moralisierend dem Vorteilsprinzip das Wort reden: es ist kein Wunder, daß sie alle ihren Gauck so lieben.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg