Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Eine Farce
Er ist, gelobt sei Gott, endlich weg, der Unterhaltungschef des Zweiten Deutschen Fernsehens, der nicht nur den Tod des wunderbaren Familienspaßes „Wetten, daß...?“ verantwortet, sondern auch den gewissenlosen Manipulationen rund um die Show „Deutschlands Beste!“ taten- und sogar ahnungslos zugeschaut hat; ein Skandal, dessen schaurige Höhe- oder besser Tiefpunkte die bildungsbürgerliche Frankfurter Allgemeine, vor Empörung bebend, wie folgt zusammenfaßte: „Zuerst fielen die Online-Umfrage und die Leserumfrage der Zeitschrift Hörzu unter den Tisch, dann wurde sogar die von Forsa ermittelte Reihenfolge der ,Besten‘ umgestellt. Besonders peinlich: Der ,heute journal‘-Moderator Claus Kleber rückte nach vorn, der RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel wurde abgewertet. Unter ,Deutschlands Besten‘, so sollte es wohl scheinen, ist das ZDF selbst bestens vertreten: Eigenwerbung pur, das Publikum wird an der Nase herumgeführt, die Show zu einer einzigen Farce.“
„Und nichts ersehnen die Menschen mehr, als sich Ja zu sagen und aufzugeben und zu vernichten“ Thomas Bernhard, 1986
Die sie vorher freilich nicht war, etwa deshalb, weil man ein Publikum, dem in Tat und Wahrheit alles egal ist, zwei Stunden lang damit amüsieren kann, daß der eine Deutsche „besser“ ist als ein anderer Deutscher, was nicht nur auf betäubende Weise irrelevant ist und das vulgäre, geistaverse, gewalttätige Rankingunwesen noch vors Feierabendsofa zerrt, sondern das Fehlen tatsächlicher Mitsprache in der Marktdemokratie durch simulativen Abstimmungskokolores sowohl vernebelt als auch rechtfertigt, um nicht zu sagen feiert. Mit voller Billigung der ach so kritischen Instanzen; denn statt den Unfug zu ignorieren oder wenigstens die übliche Beschwerde über den sog. Bildungsauftrag des Staatsfernsehens anzubringen, berichten die Qualitätspreßorgane über den redaktionellen Eingriff in eine a priori vollkommen sinnlose Bestenliste, als habe tatsächlich ein Akt der Wahlfälschung stattgefunden, als sei die Volksmeinung von arroganten Autoritäten so herzhaft mit Füßen getreten worden wie in der DDR, als sei das alles nicht auf glühende Weise wurscht und Kloeppel vor Kleber dieselbe dumme „Unterhaltung“ wie umgekehrt.
Und da wird’s plausibel: Denn es ist, melden schließlich dieselben Organe, auch nicht egal, ob nun SPD oder CDU die Agenden von BDI und Bertelsmann abarbeiten, und wo Volkes Wille draufsteht, soll auch Volkes Wille drin sein, und um diesen Schwindel nicht dranzugeben, daß nämlich irgend jemandes Meinung einen Cent wert sei, gibt es Meinungsbild auf Meinungsbild auf Meinungsbild, und die „Umfrage“ auf faz.net: Wer wird Weltmeister, Deutschland oder Argentinien?, unterscheidet sich tatsächlich in nichts mehr von der Umfrage im Deppenradio, wo die „Community“ entscheiden darf, ob irgendeine Prominentenkuh nun wirklich schwanger ist oder nicht.
Postdemokratie, ich weiß. Der Aufregung nicht wert. Erschreckend allenfalls und immer wieder die Reibungslosigkeit, mit der das alles funktioniert. Und daß der Schwachsinn so tief in die Leute gesenkt worden ist, daß sie sich für ihn schon aus gut freudianischen Gründen nicht mehr zu schämen vermögen.
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