Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Ein Fan
Jan Böhmermanns vielbeachtetes Schmähgedicht ist, laut Hilmar Klute, dem Humorexperten der Süddeutschen, ein „Triumph der Satire“. Das gibt zu denken. Denn natürlich braucht Satire die Dummen und die Dummheit, andernfalls sie gar nicht nötig wäre; wenn aber nun die Dummen so heftig applaudieren?
„Ausgerechnet Jan Böhmermann hat nun etwas zustande gebracht, von dem die Pleistozän-Brettlmännchen von ,Satire-Gipfel’ und ,Anstalt’ mit ihren läppischen Pointen nur träumen können: die Politik so weit zu bringen, daß sie wegen eines Satirebeitrags in den diplomatischen Gang schalten muß …, daß die Bundeskanzlerin höchstpersönlich zum Lüften kam und durch das offene Fenster ihr ,Das ist bewußt verletzend’ rief. Einem ARD-Satire-Gipfelstürmer und einem ZDF-Anstaltsclown dürften bei diesem Merkel-Satz die Gesichtszüge entgleisen … Jan Böhmermann wollte den Humorkonsens verletzten und den Deutschen zeigen: Seht her, Freunde, aus diesem Stoff ist der Humor, den ihr seit Jahren beklatscht; ich hab nur ein bißchen Kontrastmittel drangemacht, damit ihr das besser sehen könnt.“
Von dem sinnlosen „ausgerechnet“ abgesehen (und kann man ein Kontrastmittel „dranmachen“?): Die braven Brettlmännchen machen seit Jahrzehnten Ziegenfickerwitze, und Böhmermann hat ihnen das um die Ohren gehauen? Aber die Brettlmännchen machen doch von ihrem „moralischen Feldherrnhügel“ aus schlechte Wortspiele, um „stubenfliegenhaft Politiker zu ärgern“? „Dagegen sind die alten Disco-Sketche von und mit Ilja Richter Feuerwerke kabarettistischer Unterhaltungskunst“ – es geht, wie stets, da einiges durcheinander, und der wilde Haß, den einer auf die „deutsche Satire im gebührenfinanzierten Fernsehen“ hat, wirkt, 30 Jahre nach Henscheids Hüsch-Erledigung, seinerseits wie Kabarett und so überholt wie der Rekurs auf den deutschen Doyen der TV-Dekonstruktionskomik Harald Schmidt, dessen legitimer Erbe Böhmermann sei, dieweil auch dieser „[k]einen Begriff von moralischer Wahrhaftigkeit“ habe.
„Gute Ansichten sind wertlos. Es kommt darauf an, wer sie hat.“ Kraus, 1919
Auch das ist Blödsinn, denn ganz offenkundig hat Böhmermann, wie unstubenfliegenhaft auch immer, die Politik geärgert (wie das sein Stinkefinger-Coup schon getan hatte), die sich erstens genötigt sah, einen ausländischen Potentaten in Schutz zu nehmen, und zweitens zusehen muß, wie ihr supertolerantes Je-suis-Charlie-Deutschland spätestens dann den Staatsanwalt schickt, wenn es einen Witz nicht versteht. Gerade gemessen an den Standards Schmidts war Böhmermann hier sogar ganz klassischer, moralischer Satiriker, indem er u.a. den staatsfrommen Beamtensender ZDF vorführte, und daß ihm das gelungen ist, mag ihn tatsächlich über Klutes „Kabarett- und Comedy-Zombie-Kultur“ hinausheben. Daß der aber den Aufklärer B. viel weniger scharf sehen will als den Dekonstrukteur, nährt freilich den Verdacht, daß Klutes sich als ästhetischer Vorbehalt gebender Abscheu vor der „Volksaufklärungsinstanz“ Kabarett als „Gewerkschaftertagung von 1976“ ein ganz ordinärer vor so zombiehaften Dingen wie Gewerkschaften und Aufklärung ist.
Harald Schmidt, dessen Verdienste ums Komische unbestritten seien, ist privat ein katholischer Unternehmer, der vermutlich dieselbe CDU wählt, die sich an ihm nie gestört hat. Mit Dekonstruktion, die alles lustvoll in Zeichen, Referenz und Zwinker auflöst, kann Politik nämlich gut leben; mindestens jene, mit der auch Klute so gut leben kann. Weshalb Jan Böhmermann, der schon im Fall Varoufakis gezeigt hat, daß er es nicht kann, diesen Fan nicht verdient hat.
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