Newsticker

Nur diese Kategorie anzeigen:Gärtners Sonntagsfrühstück Eintrag teilenEintrag per Email versenden Mit Facebook-Freunden teilen Twittern mit Google+ teilen

Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Bilanzen

Gut möglich, daß es nur mir so geht, aber etwas zwingt mich, noch dann mit den Verfolgten zu sein, wenn es sich um Schufte handelt. In Ken Follets Spionageromanklassiker „Die Nadel“ fiebere ich wie selbstverständlich mit dem Nazispion, denn er ist der, hinter dem sie her sind, und hätte sich Barschel damals auf die Flucht begeben, ich wäre für Barschel gewesen, umständehalber. Vielleicht, weil wir immer auf der Flucht sind; und Träume ja auch immer so gehen, daß man verfolgt wird, und nie, daß man verfolgt.

Verwandter Mechanik mag es sich verdanken, daß mir Sigmar Gabriel plötzlich leid tut, obzwar ich mal beifällig den Kabarettisten Max Uthoff zitiert habe, er, Uthoff, würde in jedem Fall die Straßenseite wechseln, um mit Gabriel nicht den Fußweg teilen zu müssen. Und trotzdem ist da nun einer vor der Zeit beruflich am Ende, und zwar nicht seiner Politik wegen, die bald gegen faule Griechen, bald wider Israel löckte, sondern weil er seine Klappe einmal zu oft aufgerissen hat. Ein Spruch weniger, und Gabriel hätte die nächsten vier (oder acht) Jahre in der Welt herumfliegen und als Mann von Renommee in den Ruhestand gehen können.

Selbst für einen solch trainierten Verdauer muß das eine Herausforderung sein, zumal der Sozialdemokrat Gabriel dasselbe Problem hat wie meine Lieblingscharge Maybritt Illner, der stets ein stilles Entsetzen darüber im Gesicht klebt, mit welch komplettem Irrsinn („Maybritt Illner“) sie ihre Tage hinbringt, die aber mit dem Irrsinn nicht aufhören kann, weil sie ja bloß solange da ist, wie der Irrsinn anhält. Dreißig Jahre, schrieb Gabriel in seiner Abschiedserklärung, habe er dem Land und der Partei gedient, und in seiner letzten Woche als Außenminister stand in der Zeitung, daß Hartz-IV-Kindern in Deutschland 2,77 Euro am Tag für Lebensmittel zustehen, während in den Ballungszentren, sagt eine Studie, Privatschulen wie Pilze aus dem Boden schießen und im Verein mit immer mehr Höchstbegabungsinstituten dafür sorgen, daß der Auslesedruck nicht nachläßt. An anderer Stelle war zu lesen, daß die Bildungs-, Aufstiegs- und Verdienstchancen sogar noch am Großelternhaus hängen, und daß der legendäre deutsche Sozialstaat ohne Tafeln nicht liefe, ist auch keine Neuigkeit.

„Da lebe ich und lebe – aber wozu?“ Platonow, 1926/27

Man wird ja selbst dereinst Bilanz ziehen müssen, und sie wird bestenfalls durchmischt sein; aber dreißig Jahre SPD, und am Ende steht Klassenkampf in ungekannter Härte, da bin ich noch King. In Zeiten, wo Hunderttausende aus Syrien und sonstwo fliehen, soll man, in seinem warmen Arbeitszimmer sitzend, sowenig sagen, man sei auf der Flucht, wie daß vorm Fenster Krieg herrsche, wenn die Panzer im Viertel noch Alufelgen haben. Doch als Bilanz eines sozialdemokratischen Frührentners ist die Befreiung Deniz Yücels aus despotischer Haft zwar mehr als nichts, aber zu wenig, um nicht finden zu müssen, daß, wo man selbst nicht bleiben kann, rein nichts geblieben ist.

Aber was rede ich. Eben schickt mir die Edition Tiamat den zehnten als ersten Band der Wolfgang-Pohrt-Werkausgabe, und kaum blättere ich hinein, lese ich wieder den halb sarkastischen, halb belustigten Text über den „Linksradikalismus im Sozialstaat“ als „Revolution am Schreibtisch“, für die man „sogar Geld“ bekommt“, „solange jedenfalls, wie elegant formulierte Kapitalismuskritik ein Spaß für aussterbende Bildungsschichten bleibt“. Da ist es tröstlich, daß das keinesfalls der Gipfel der Sinnlosigkeit ist; aus dem Wirtschaftsteil: „Seit gut 100 Tagen steht die ehemalige Opel-Marketingchefin Tina Müller (,Umparken im Kopf’) an der Spitze von Douglas. … Tina Müller wechselte, kaum angekommen, das Top-Management aus, rekrutierte neue Leute, vor allem Frauen. Eine Videobotschaft an die Mitarbeiter zeigte sie dann kurz vor Weihnachten, wie sie in einem mit Douglas-Tüten vollgestopften Opel Adam durch Düsseldorf kurvte, dazu ,Last Christmas’ hörte, mitträllerte und versprach: ,Bei der Filiale, die das beste Weihnachtsgeschäft macht, steht bald der Adam vor der Tür.’ Sie schleuste auch ihre Mutter als Mystery-Käuferin in eine Douglas-Boutique, um sie sozusagen als verdeckte Ermittlerin herausfinden zu lassen, ob die Verkäuferinnen die Kundinnen auch wirklich so lächelnd umgarnen, wie sie, die neue Chefin, das vorgegeben hat“ (SZ, 8.3.).

Eine Frau mit Zukunft; sie ist danach. (Die Zukunft. Die Frau aber auch.) – Elegant formuliert, das muß ich mir lassen.




Eintrag versenden Newstickereintrag versenden…
Felder mit einem * müssen ausgefüllt werden.

optionale Mitteilung an den Empfänger:

E-Mail-Adresse des Absenders*:

E-Mail-Adresse des Empfängers*
(mehrere Adressen durch Semikolon trennen, max. 10):

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick