Humorkritik | Mai 2024
Mai 2024
»Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist ihre Komödie. Die Götter Griechenlands, die schon einmal tragisch zu Tode verwundet waren im gefesselten Prometheus des Äschylus, mußten noch einmal komisch sterben in den Gesprächen Lucians. Warum dieser Gang der Geschichte? Damit die Menschheit heiter von ihrer Vergangenheit scheide.«
Karl Marx
Traumrolle
Die Grundidee zu »Dream Scenario«, dem neuen Film des norwegischen Regisseurs und Drehbuchautors Kristoffer Borgli (»Sick of Myself«), verspricht bereits einiges: Der als linkisch und sehr durchschnittlich gezeichnete Biologieprofessor Paul Matthews (Nicolas Cage) taucht zunächst regelmäßig als tatenloser Zuschauer in den Gruselträumen seiner Tochter auf, bald aber auch in den Träumen seiner Studierenden und in denen ihm völlig unbekannter Personen. Er wird so unverhofft zum Social-Media-Star. Daraus ergeben sich einige unterhaltsame Szenen, etwa wenn Matthews eine seiner Vorlesungen kurzerhand zur Pressekonferenz umfunktioniert, Fragen zu seiner Traumversion beantwortet und die Anwesenden schließlich von ihren Paul-Träumen erzählen lässt, in denen er allerdings über eine Statistenrolle selten hinauskommt – sehr zu seinem Ärger, weil er argwöhnt, die Irrelevanz seines geträumten Alter Ego lasse Rückschlüsse darauf zu, wie die Träumenden ihn realiter wahrnehmen. Die kurzen Horror-Clips mit anwesendem, aber nur durch die Kulissen schlenderndem Professor sind kleine lustige Highlights des Films, beispielsweise hat er in einem Traum nur Augen für seltsame Baumpilze, während neben ihm ein Student von einem Waldmonster attackiert wird. Nicolas Cage gibt Matthews mit seinem gefürchteten, in »Dream Scenario« von Borgli aber gezielt eingesetzten Overacting den letzten Schliff zur ambivalenten und sehr komischen Figur.
Borgli klopft seine Pointen-Idee nun auf ihr Pointenpotential ab, mal mit mehr Erfolg (einer der besten Einfälle ist das Treffen Matthews’ mit den Vertretern eines Online-Marketing-Start-ups, die ihn in den von ihm besuchten Träumen als Werbebotschafter für die Zitronenlimo »Sprite« gewinnen wollen), mal mit weniger (eine junge Frau gibt an, wilde Sexträume von Matthews zu haben; der Professor versucht diese mit ihr nachzustellen, muss dabei aber immerzu pupsen). Die satirischen Spitzen gegen Social Media und dessen opportunistische Community sitzen, auch wenn aus dem filmischen Traum – etwas vorhersehbar – ein Albtraum wird, sowohl für die Träumenden als auch für den Geträumten, der plötzlich als »Freddy Krueger« gehänselt und gefürchtet wird und irgendwann nur noch als Idol für Alt-Right- und Trump-Fans taugt, die sich von Superschurken beeindrucken lassen. Falls Sie den Film in den Lichtspielhäusern verpasst haben sollten, träumen Sie ihn doch in Ihrem Kopfkino nach; es lohnt sich.