Humorkritik | Mai 2024

Mai 2024

»Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist ihre Komödie. Die Götter Griechenlands, die schon einmal tragisch zu Tode verwundet waren im gefesselten Prometheus des Äschylus, mußten noch einmal komisch sterben in den Gesprächen Lucians. Warum dieser Gang der Geschichte? Damit die Menschheit heiter von ihrer Vergangenheit scheide.«
Karl Marx

Ko(s)misches Beben

Sogar das Fälschen ist nicht mehr das, was es mal war. Beziehungsweise: Es scheint egal zu sein, mit welchem Thema man sich beschäftigt, offensichtlich ist keins vor den Auswirkungen der Digitalisierung sicher. So klagen Claudia Geringer und Ernst Strouhal in ihrem Buch »Die Phantome des Ingenieur Berdach. Medienkritik und Satire« (Edition Konturen), der Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer habe sich noch große Mühe geben müssen, um seinen eine Künstlerbiografie fakenden Roman »Marbot« (1981) zu verfertigen: »Heute braucht es dieses ›echte‹ Wissen des Fälschers, das bildungsbürgerlichen Respekt abverlangt, nicht mehr«; ein paar Klicks würden genügen, um plausible Daten einer zur Gänze erstunkenen Lebensgeschichte zusammenzustellen. Wobei ich denn doch bildungsbürgerlich einwenden möchte, dass sich literarische Kunst nicht ergoogeln lässt und es mehr als das Eingabefeld einer Suchmaschine bedarf, um einen solchen Roman zu schreiben.

Der Titel des Berdach-Buches spielt an auf den ersten von zahlreichen Beispielfällen satirischen Fälschens. Karl Kraus hatte 1908 unter dem Alias des »Zivilingenieurs J. Berdach« der von ihm gehassten Neuen Freien Presse einen Leserbrief über ein Erdbeben in Wien angeboten, der auch prompt abgedruckt wurde. Darin behauptet der »Erdbebenexperte« Berdach, dass ihm »diese Erscheinung von meinem langjährigen Aufenthalt in Bolivia, dem bekannten Erdbebenherd, nur zu vertraut war«, faselt von einer »Bussole, die ich seit jenen Tagen in meinem Haus habe«, davon, es habe sich wohl »um ein tellurisches Erdbeben (im engeren Sinne), das von den kosmischen Beben (im weiteren Sinne) wesentlich verschieden ist« gehandelt, und dergleichen.

Führt man jemanden mit solchen Scherzen aufs Glatteis, so ist die Sache allerdings erst abgeschlossen, wenn das Opfer auch öffentlich bloßgestellt, die Fälschung mithin aufgedeckt wird, wie es Kraus denn auch in seiner Fackel tat. Daselbst kam er zu dem Schluss, dass es »nie zuvor« eine »Kulturperiode« gegeben habe, in der die Menschen »sich mit einer solchen Begeisterung zu dem einigenden Prinzip der Dummheit bekannt hätten«. Wir Menschen des Jahres 2024 schweigen dazu besser.

Sehr komisch sind einige der im Band referierten, in Kraus' Geist angelegten Fälle, die von Swift und Poe bis zu Jan Böhmermann reichen. Manche sind etwas banal, so Loriots in diesem Zusammenhang fehlplatzierte, weil harmlose Steinlaus oder ein von Helmut Qualtinger erfundener grönländischer Dichter namens Kobuk, dessen angebliches Eintreffen am Wiener Westbahnhof 1951 vom angeblichen österreichischen PEN angekündigt und von der Presse brav kolportiert wurde. Oft sind sie aber tatsächlich sinnreich und fein ausgesponnen, etwa jene in den 1950er-Jahren von einem gewissen »Alan Abel aus Ohio« folgenreich erdachte Gesellschaft, die forderte, dass Tiere hinfort nicht mehr nackt, sondern bekleidet herumlaufen sollten.

Selbstverständlich spekuliert das Nacherzählen all dieser Fälle immer auch auf die Schadenfreude der Leserschaft. Solche niederen Gefühle sind mir bekanntermaßen fremd, vielmehr erfreue ich mich differenziert und wertneutral der feinen Technik der jeweiligen Inszenierung und bin zweifellos auch gefeit davor, meinerseits frechen Streichen aufzusitzen. Trotzdem wäre es aber eigentlich hübsch, wenn einer der zahlreichen von Geringer/Strouhal referierten Fälschungsfälle genau das wäre: eine Fälschung.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella