Humorkritik | Mai 2024

Mai 2024

»Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist ihre Komödie. Die Götter Griechenlands, die schon einmal tragisch zu Tode verwundet waren im gefesselten Prometheus des Äschylus, mußten noch einmal komisch sterben in den Gesprächen Lucians. Warum dieser Gang der Geschichte? Damit die Menschheit heiter von ihrer Vergangenheit scheide.«
Karl Marx

Lesbische, Schwarze, Behinderte

Zu den hartnäckigsten Mythen des vermeintlich politisch korrekten Zeitalters zählt die Behauptung, man dürfe keine heiklen Witze mehr reißen, weil dann sofort der böse Cancel-Mob vorm Haus stünde usw. Dem widerspricht schon einmal, dass die großen Arenen ja gerade von jenen Comedians gefüllt werden, die ihr Programm mit ressentimentgeladenen Gags und lauten Empörungsreden über vermeintliche Redeverbote bestreiten. So ganz wollen ihnen die Kollegen, die ihrem Selbstverständnis nach für Diversität und gegen Diskriminierung stehen, das Feld der politisch unkorrekten Pointe aber nicht überlassen, und greifen dafür mit unterschiedlichem Erfolg auf spielerische Formen der Distanzierung zurück.

Eher sympathisch als wirklich lustig geraten ist das Segment, das Seth Meyers (der einzige US-Late-Night-Host, der ohne Schlips und Krawatte auftritt) dafür in seiner Show bereitstellt. Ausgehend von der (weitgehend korrekten) Annahme, sämtliche Late Shows würden von mittelalten weißen Dampfplauderern moderiert, lässt sich Meyers im Rahmen von »Jokes Seth Can’t Tell« von seinen beiden Autorinnen Amber Ruffin (schwarz) und Jenny Hagel (lesbisch) unterstützen. Er verliest Einleitung und Hinführung eines genretypischen tagesaktuellen Witzes, überlässt den beiden flankierenden Mitstreiterinnen dann aber die eher schale Pointe (»Der schwarze Weihnachtsmann ist wie der normale Weihnachtsmann, aber seine Päckchen sind größer«). Der vorsätzlich schematische Aufbau und der sture Blick in die Kamera umspielen mit sanfter Ironie das didaktische Anliegen des Formats, das mangels zündender Gags eher gutgemeintes Kasperletheater vorstellt, im vergangenen November aber bereits seine 50. Ausgabe feierte.

Mehr zum Lachen reizt mich das Ritual, das seit ein paar Jahren bei Saturday Night Live gepflegt wird. Dort teilen sich die Ensemble-Mitglieder Michael Che und Colin Jost das prestigereiche Nachrichtenformat Weekend Update, dem bereits Komiker wie Chevy Chase und Norm Macdonald vorstanden. In der letzten Ausgabe vor Weihnachten spielen Che und Jost traditionell eine Art Gag-Karaoke, indem sie sich gegenseitig Witze in den Teleprompter schreiben, die der andere vom Blatt vortragen muss. Besonders Che (schwarz) weiß das brillant zu nutzen und setzt seinem sympathischen Kollegen Jost (weiß) Witze über Pädophile, Juden und vor allem die schwarze Community vor (»Demnächst kommt ein neuer Superman-Film mit einem schwarzen Hauptdarsteller ins Kino – sein Kryptonit besteht aus ehrlicher Arbeit«). Betont krawallige Wer-das-liest-ist-doof-Statements runden den Spaß ab, etwa wenn Jost, dessen Ehefrau Scarlett Johansson sich als einer der letzten Hollywoodstars noch öffentlich zu Woody Allen bekennt, seine uneingeschränkte Solidarität mit diesem verkünden muss. Beim letzten Durchgang platzierte Che noch eine Schauspielerin neben Jost, die er als rollstuhlfahrende schwarze Bürgerrechtlerin ausgab und die das Schauspiel mit steigender Fassungslosigkeit verfolgte. Mit welchen Bosheiten Jost in diesem Jahr in die Mangel genommen wird, erwarte ich bereits jetzt so ungeduldig wie die Päckchen vom schwarzen Weihnachtsmann.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella
09.05.2024 München, Volkstheater Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
10.05.2024 Weil am Rhein, Kulturzentrum Kesselhaus Thomas Gsella
11.05.2024 Karlsruhe, Kabarett in der Orgelfabrik Thomas Gsella