Humorkritik | Juni 2024
Juni 2024
»›Parodieren‹ kann man gerade das Höchste, aber das heißt nicht, daß der Komiker, der dies tut, für die Legitimität des hohen Stiles an seinem Ort unempfänglich wäre, sondern eher heißt es das genaue Gegenteil!«
Otto Seel
»Hochinteressant!«
Bücher zu Loriot gab es im letzten Jahr zahllose, kürzlich habe ich jedoch ein aus humorkritischer Sicht besonders interessantes entdeckt: den im Satyr-Verlag erschienenen Roman »Wie sind Sie hier reingekommen?« des Berliner Autors und Kabarettisten Tilman Birr. Zunächst ein klassisch anmutender Coming-of-Age-Roman der nuller Jahre, in dem ein Student aus der Provinz seinen Platz in der noch jungen Hauptstadt sucht und in einer Hochschulgruppe sowie als Theaterstatist anheuert, wartet das Buch bald auch mit einem Erzählstrang auf, in dem sich jener Student mit einem »freundlichen älteren Herrn« anfreundet, der sich als Vicco von Bülow herausstellt. Da sich dieser über zeitgenössische Komik informieren will, »die es nicht im Fernsehen oder auf CD gibt«, um auf dem aktuellen Stand für seine Seminare zu sein – tatsächlich war der echte Herr von Bülow im Jahr 2003 Honorarprofessor in Berlin –, beginnen die beiden, Comedy- und Lesebühnen aufzusuchen, die im damaligen Berlin nur so aus dem unsanierten Boden schießen.
Namen werden kaum genannt, aber wer aufmerksam liest, erkennt Nachwuchstalente wie Kurt Krömer und Wladimir Kaminer in Kellerbars ihr Glück suchen. Einen sehr amüsanten Auftritt hat der noch unbekannte Unterhaltungsgrammatiker Bastian Sick (»Adverbiale Bestimmungen beziehen sich immer auf das Subjekt eines Satzes«), der auf ein ratloses Publikum trifft (»Kenn ick nich«) und später am Tresen v. Bülow, der natürlich dauernd erkannt wird, sein sprachkritisches Leid klagt, vor allem, dass niemand mehr den Genitiv korrekt gebrauche: »Nicht mal die Politiker beherrschen den noch. Neulich hat irgendein Heini einen Kranz für die Opfer des 17. Juni niedergelegt und auf der Schleife stand: ›Wir gedenken den Opfern.‹ Und von solchen Leuten müssen wir uns vertreten lassen.« Loriot versucht, den Verzweifelten zu besänftigen: Vielleicht sei es ja auf der anderen Seite des Kranzes noch weitergegangen? Wie – weiter?, will Sick wissen. »Na, vielleicht stand ja noch was auf die Rückseite von die Schleife. Und der Satz lautete komplett: ›Wir gedenken den Opfern diesen Kranz zu.‹ Dann stimmt dit ja wieder.«
Der Dreh, diese nächtlichen Streifzüge durch die Augen des berühmten Humoristen zu betrachten, der alles erst mal »hochinteressant« findet, erweist sich als erzählerisch ergiebig und komikträchtig. Denn so wie zwischen dem verbissenen Sick und dem selbstironischen von Bülow ergeben sich die komischen, kontrastreichen Gesprächsmomente wie von selbst.
Und was zunächst abwegig wirkt (Loriot im Quatsch Comedy Club), überzeugt bei näherer Betrachtung: galt der echte Vicco von Bülow doch zeitlebens als wissbegierig und Neuem gegenüber aufgeschlossen. Statt ein paar längerer Einblicke in die bereits stark ausgeleuchtete Theater- und Hochschulwelt hätte ich mir noch weitere Loriot’sche Ausflüge zu Tempeln des Entertainments gewünscht, gern auch in Richtung der schulmeisterlichen Kabarettbühnen. Und wie ein Loriot Poetry-Slams als »hochinteressant!« etikettiert und in sich hineingeschmunzelt hätte, hätte ich zu gern noch gelesen.