Humorkritik | Juni 2024
Juni 2024
»›Parodieren‹ kann man gerade das Höchste, aber das heißt nicht, daß der Komiker, der dies tut, für die Legitimität des hohen Stiles an seinem Ort unempfänglich wäre, sondern eher heißt es das genaue Gegenteil!«
Otto Seel
Eine vorbildliche Reisegesellschaft
Gute Romane, die vollkommen unkomisch und ironiefrei sind, kommen ebenso selten vor wie durchgehend komisch angelegte. Man braucht für die Langstrecke nicht nur einen komischen Plot und komische Figuren, sondern auch eine Perspektive, die das Erzählte auf Dauer interessant macht, da es den Leser durch rhetorische Ironie zum Mitdenken zwingt – zum Mitempfinden bringen ihn komische Charaktere ja eher selten.
Elizabeth von Arnim ist so ein Roman zumindest einmal, nämlich 1909, vorbildlich gelungen. »Die Reisegesellschaft« nennt er sich auf Deutsch; der Originaltitel »The Caravaners« verrät, welche Form der reisenden Fortbewegung gemeint ist. Der Zirkus zog früher mit diesen Vorläufern unserer Wohnwagen durch die Stadt, fahrendes Volk, eine Karawane schaukelnder Holzkästen, von kaltblütigen Pferden gezogen; und da es vor über hundert Jahren weder asphaltierte Straßen noch ausgewiesene Campingplätze gab, kann man sich die Probleme der Reisegesellschaft vorstellen.
Als der Roman erschien, hatte die Verfasserin bereits ein abwechslungsreiches Leben hinter sich: geboren in Neuseeland, aufgewachsen in England, verheiratet mit einem deutschen Grafen, wohnhaft auf dessen Gut in Pommern. 1907 war sie selbst mit einem Planwagen unterwegs und lernte bei dieser Gelegenheit H. G. Wells kennen – übrigens einer der wenigen durchgehend unkomischen britischen Romanciers –, dessen Geliebte Elizabeth von Arnim nach dem Tod ihres Ehemanns werden sollte. Dass dieser Ehemann über Titel und Herkunft hinaus Ähnlichkeit mit ihrem Erzähler hatte, mag ich mir kaum vorstellen, denn um den Baron Otto von Ottringel zu ehelichen, müsste eine Frau schon so verzweifelt sein, dass Selbstmord als Ausweg nicht mehr in Frage käme.
Denn dieser fiktive Baron vereinigt in sich alle Torheiten, die man preußischen Junkern nachsagt. Mir erscheint er damit als das unangenehme Gegenstück zu P. G. Wodehouses Erzähler Bertie Wooster. Während dessen Einfalt aber einen gewissen Charme entwickelt, ist die Beschränktheit von Arnims Baron nur dünkelhaft.
Einen derart abstoßenden Erzähler zu wählen ist riskant; zum Glück gönnt seine Autorin ihm neben einer durch seinen bitterbösen Blick geschärften Beobachtungsgabe einen beachtlichen Wortschatz und wunderliche Satzgebilde. Und da sie konsequent aus seiner Perspektive erzählt, hat der Leser das Vergnügen, die tatsächlichen Gegebenheiten und Geschehnisse zu enträtseln, die hinter diesem Bericht stecken, den der Baron ausdrücklich verfasst, um damit später vor seinen Standesgenossen angeben zu können. Dass er dabei die Freuden des ungefilterten Erzählens entdeckt, welches ihm erlaubt, ungedeckt alles auszusprechen, was wohl schon seinerzeit als politisch inkorrekt oder toxisch galt – sei es nun klassistisch, rassistisch oder männlich-chauvinistisch grundiert –, ist ein hübscher Nebeneffekt. Denn Otto von Ottringels Blick auf die Welt im Allgemeinen, auf England und die Engländer im Besonderen sowie sein unerschütterlicher Glaube daran, dass der ungnädige Gott ein Mann und Konservativer sei und Preußen sein auserwähltes Volk, macht den Baron zu einem Vorboten des Ersten Weltkriegs und Arnims Buch zu einer Sammlung scheinnaiver Lebensweisheiten. »Ein Sozialist ist«, für den Baron, wohlgemerkt, »ein Mensch, der sich nie hinsetzen kann. Wenn er es tut, wird der düstere Gegenstand, den er Gemeinschaft nennt, laut, weil sie meint, dass er sie durch sein Hinsetzen um das betrügt, was er durch seine Arbeit erzeugen würde, wenn er nicht sitzt.«
Denken Sie mal drüber nach.