Humorkritik | Juni 2024
Juni 2024
»›Parodieren‹ kann man gerade das Höchste, aber das heißt nicht, daß der Komiker, der dies tut, für die Legitimität des hohen Stiles an seinem Ort unempfänglich wäre, sondern eher heißt es das genaue Gegenteil!«
Otto Seel
Theater mit Schuss
Der französische Regisseur Quentin Dupieux, den ich an dieser Stelle bereits mehrmals gelobt habe, zuletzt im Oktober 2020, hat nun seinen nächsten Film veröffentlicht, den nur 64 Minuten langen »Yannik« (auf der Streaming-Plattform Mubi). Wie üblich lässt es sich Dupieux, der in früheren Filmen mordende Autoreifen und arrogante Wildlederjacken auftreten ließ, nicht nehmen, Schabernack mit dem Publikum und dessen Erwartungen zu treiben. Diesmal wird die »vierte Wand« bereits früh im Film eingerissen. Von einem jungen Mann nämlich, dem titelgebenden Yannik, der sich in einem kaum gefüllten Pariser Theater eine Liebeskomödie ansieht, die Schauspieler auf der Bühne mitten im Spiel unterbricht und sich bei ihnen beschwert, das Stück sei langweilig und hebe seine Stimmung nicht, dabei habe er sich als Nachtwächter extra freinehmen müssen, außerdem habe er einen langen Anfahrtsweg gehabt, und da sei es inakzeptabel, derart schlecht unterhalten zu werden. Schließlich will er den Regisseur sprechen, doch dieser ist nicht anwesend.
Nun müssen Schauspieler und Zuschauer auf diese ungewohnte Heckler-Situation und den Störenfried ja irgendwie reagieren, und gerade dass der Film nicht versucht, Yanniks Verhalten und die Reaktionen darauf soziologisch oder psychologisch zu deuten, ergibt Komik. Wir sehen arrogante Mimen, die Yannik erst rausschmeißen, um ihn dann nachzuäffen, und für die Parodie des banausischen »Trottels« zum allerersten Mal echte Lacher bekommen, aber auch Zuschauerinnen, die mit dem ungewöhnlichen Theaterkritiker sympathisieren. Auch besteht eine der Pointen des Films darin, dass das unterbrochene Stück tatsächlich sehr unlustig und demonstrativ uninspiriert ist und offenbar nur den Zweck hatte, fünfzehn notorischen Theatergängern ein paar Euro aus der Tasche zu leiern; und dass die radikale Kritik des jungen Arbeiters an dieser warenförmigen, unsagbar öden Kulturproduktion ja vollkommen korrekt und hellsichtig ist.
Derweil entsteht zunehmend Druck im Theater, den Dupieux genüsslich verstärkt, indem er Yannik nach seinem Rauswurf mit einer Pistole bewaffnet zurückkehren und das Stück gänzlich neu entwerfen lässt: Er holt sich eine Schreibmaschine, zwingt alle, im Theater zu bleiben, und schreibt stundenlang ein Drehbuch, das die anderen dann spielen bzw. ansehen müssen. Groteske, Eskalation – oder doch ein lapidarer Kommentar zum Kulturbetrieb und seinen Machtverhältnissen? Will sagen: Wer die Knarre hat, hat die (kulturelle) Hegemonie? Entscheiden Sie selbst, lustig ist das auf jeden Fall.