Humorkritik | Januar 2024
Januar 2024
»Nichts Komischeres produziert der Kapitalismus als jene Menschen und Institutionen, die allen Ernstes ›an ihn glauben‹.«
Georg Seeßlen / Markus Metz, »Blödmaschinen«
Werners wilde Jahre
Der nicht totzukriegende Glaube an Altersweisheit und die wahnwitzige Annahme, ein ganzes Leben lasse sich, eingedampft auf 400 Seiten, auf einen Nenner bringen, spült Jahr um Jahr Autobiographien in den Buchhandel, von denen viele dem Ghostwriter derart lustlos aufs Band gequatscht wurden, dass man sie getrost links liegen lassen kann.
Überrascht war ich deshalb, wie viel Spaß mir die Lebenserinnerungen von Werner Herzog bereitet haben (»Jeder für sich und Gott gegen alle«, Hanser). Nicht nur enthält sich der im Dokumentar- wie Spielfilmfach erprobte Regisseur modriger Orakelsprüche, versucht auch gar nicht erst, seine auf allen Kontinenten, zu Lande, zu Wasser und in der Luft spielende Lebensgeschichte zu einem stimmigen Gesamtbild zu verfälschen – nein, Herzog erweist sich einfach als fabelhafter Erzähler, der so manchem dörflichen Kauz und den Gelegenheitsjobs seiner frühen Jahre ebenso schöne Geschichten abgewinnt wie seiner imposanten Filmkarriere. Dazwischen persifliert er die gattungstypisch bräsige Aphoristik (»Ich halte das 20. Jahrhundert in seiner Gesamtheit für einen Fehler«) und beweist, dass ihm nichts Menschliches fremd ist: Den Erfolg der Rolling Stones will Herzog schon Anfang der 1960er Jahre geahnt haben, als er nach einem Konzert sah, wie die »Schalensitze aus Plastik von Urin dampften«.
Als Humorist war mir Herzog bisher nicht aufgefallen. Möglicherweise hat er seine Gags aber auch bloß in der angloamerikanischen Welt ausgespielt: Immerhin bringt es der Mann auf mehrere Auftritte bei den »Simpsons« und machte vor Jahren Schlagzeilen, als er bei einem Interview in Los Angeles vor laufender Kamera angeschossen wurde und das Gespräch, cool wie Buster Keaton, mit Hinweis auf die Geringfügigkeit der Verletzung einfach fortsetzte. Diese und andere bekannte Schnurren (etwa der als Wetteinlösung verspeiste Schuh) haben es auch ins Buch geschafft; gefallen hat mir, dass Herzog nicht sämtliche dieser Greatest Hits darbietet, etwa die im Dokumentarfilm »Mein liebster Feind« (1999) sowie dem »Fitzcarraldo«-Tagebuch »Eroberung des Nutzlosen« (2009) aufgearbeiteten Kinski-Chroniken. Zu Wort kommt der legendäre Schreihals natürlich trotzdem.
Auch wenn Herzog im Gestus des greisen Carpe-Diem-Erzählers hie und da verweilt, um an den Blumen zu schnuppern, reitet er im Schweinsgalopp durch seine 80 Lebensjahre, tritt mal als eigenbrötlerischer Waldschrat auf, der die Fähigkeit perfektioniert haben will, wildfremden Menschen ihre Eignung zum Kühemelken anzusehen, mal als spinnertes Stehaufmännchen, das sich mit geradezu suizidaler Freude von Dächern stürzt und sein Ensemble mit einem Sprung ins Kaktusfeld motiviert. Im übrigen erfährt man auch, was Mike Tyson über die Geschichte des fränkischen Königshauses zu sagen hat und was afrikanische Diktatoren anstellen, wenn sie ihren exekutierten Innenminister zum Essen servieren lassen, dann aber noch einen halben Minister übrig haben. Dass Werner Herzog sein Buch mitten im Satz abbricht, weil es ihm ein Vogel so eingeflüstert hat, setzt einen schönen Schlusspunkt; bzw. eben grade keinen. Gut so.