Humorkritik | Januar 2024

Januar 2024

»Nichts Komischeres produziert der Kapitalismus als jene Menschen und Institutionen, die allen Ernstes ›an ihn glauben‹.«
Georg Seeßlen / Markus Metz, »Blödmaschinen«

Unverbrennlichkeit der Herzen

Ich werde an dieser Stelle wohl schon mal auf den Wandel der Dinge im Allgemeinen und der Komik im Besonderen zu sprechen gekommen sein. Sollten Sie eines Beispiels bedürfen, kann ich hier mit den jüngst bei Wallstein als »kritische Leseausgabe« wieder aufgelegten »Comischen Erzählungen« Christoph Martin Wielands (1733-1813) dienen, die illustrieren, dass nichts bleibt, wie es war. Zum Beispiel der Begriff des Komischen, der in diesen comischen Texten, wie uns die Anmerkungen des von Clara Innocenti und Hans-Peter Nowitzki edierten Bandes erhellen, nichts Lustiges im heutigen Sinne, sondern »das Genre der scherzhaft-erotischen Erzählung« meint. Wielands vier mitunter kühn gereimte Verserzählungen behandeln Stoffe aus der griechischen Mythologie.

In dieser ging es, was sexuelle Dinge betrifft, noch recht unbefangen zu. Zu Zeiten von Wielands Weimarer Klassik war das anders: Wieland brachte deshalb 1765 sein kleines Werk zunächst anonym heraus. Dass er dafür Gründe hatte, zeigt der Umstand, dass es von der katholischen Kirche auf einen »Index der verbotenen Bücher« gesetzt wurde.

Wie humor- und lustlos. Denn Wielands Geschichten sind durchaus amüsant. In allen geht es um Verführung und Begehren, um Moral und deren Versuchung. Dabei waltet eine gewisse Handfestigkeit, die mal von Männern, mal – was ungewöhnlich war – von Frauen ausgeht; ganz egal, ob es sich um Wesen göttlicher oder menschlicher Provenienz handelt. Wieland präsentiert den bekannten Stoff des »Urteils des Paris« auf burleske Weise neu, erzählt von »Endymion«, »Juno und Ganymed« und »Aurora und Cephalus«. In die »anmutige« (Nowitzki) Sprache muss man sich erst einlesen, am besten auch die detaillierten Anmerkungen konsultieren, weil die Kenntnis der Mythengestalten und -stoffe nicht mehr vorauszusetzen ist. Entscheidend ist, dass alles Konkrete in den Köpfen des Publikums stattfindet: Die Erzählungen sind diskret, indem sie das Offensichtliche nicht aussprechen. Hätte sich die katholische Kirche also gar nicht so anstellen müssen.

Zum Fall für die Humorkritik werden die »Comischen Erzählungen« aber, weil Wieland sie als »satyrische Gemälde« gemeint und ein paar Grundgesetze der Komik erkannt hat, zum Beispiel die Kombination von Unverträglichem, etwa Asbest und Erotik: »Und was ihr Kleid, gebläht vom losen West / Und bis ans Knie geschürzt, dem Jüngling sehen läßt, / Ist mehr, als nöthig ist, um Herzen von Asbest / Die Unverbrennlichkeit zu nehmen.« Auch beobachte ich eine lustige Fallhöhe zwischen ästhetischem Aufwand und profanem Thema, wie hier bei einem Ehezwist im Hause Zeus/Hera: »Hier endet Zeus, verneigt sich tief und geht; / Das weitre kan Madam nun mit sich selber sprechen. / Sie rief ihm nach, doch schon zu spät; / Er fand für gut, wie man den Dichtern räth, / Beym schönsten Einfall abzubrechen.« Auch ich breche hier ab und entziehe mich der Frage, wie es um die gegenwärtige Rezeption der erotischen Geschichten Wielands stehen könnte: Sind sie schon wieder heikel oder noch immer ein fröhlicher Spaß? Die Antwort überlasse ich Ihnen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Genau so war es, lieber »Tagesspiegel«!

»Die Trauer um die Mauertoten erinnert uns daran, was es bedeutet, Hoffnung, Mut und letztlich das eigene Leben für ein Leben in Freiheit zu opfern«, mahnst Du am Jahrestag des Mauerbaus. Ja, wer kennt sie nicht, die ganzen Menschen, die die Hoffnung auf ein besseres Leben und den Mut, ihr Leben zu riskieren, längst aufgegeben haben, um dann an der Mauer zu sterben, wiederaufzuerstehen und ein gutes Leben im freien Westen zu führen? Mögen sie und Deine Formulierungsgabe in Frieden ruhen, Tagesspiegel!

Herzliches Beileid schickt Titanic

 Kann es sein, Tod,

dass Du, so wie alle anderen in der Handwerksbranche auch, mit Nachwuchsmangel zu kämpfen hast? Und dass Du deshalb Auszubildende akzeptieren musst, die schon bei den Basiskompetenzen wie Lesen Defizite aufweisen?

Oder hast Du, der Seniorchef höchstpersönlich und wieder zu eitel, eine Brille aufzusetzen, am 11. August beim gerade mal 74 Jahre alten Kabarettisten Richard Rogler angeklopft? Nur, um dann einen Tag später, nachdem Dir der Fehler aufgefallen war, beim 91jährigen Bauunternehmer und Opernballbesucher Richard Lugner vorbeizuschauen?

Antwort bitte ausschließlich schriftlich oder fernmündlich an Titanic

 Hello, tagesschau.de!

All Deinen Leser/innen, die von Tim Walz, der für die US-Demokraten als Vizekandidat in den Wahlkampf ziehen soll, bisher noch nicht allzu viel gehört hatten, wusstest Du doch immerhin zu berichten, er sei ein ehemaliger »Lehrer und gilt als einer, der die einfache Sprache der Menschen spricht«. Und nichts für ungut, tagesschau.de, aber dass ein Kandidat im US-Wahlkampf, ein einstiger Lehrer zudem, Englisch spricht, das haben selbst wir uns schon beinahe gedacht.

Deine einfachen Menschen von Titanic

 Dumm gelaufen, Kylian Mbappé!

Ihnen wurde ein BMW i7 M70 xDrive »überlassen« (Spiegel), jedoch haben Sie gar keinen Führerschein, haha! Wer soll den geschenkten Gaul nun lenken, rätselte daraufhin die Presse: »Mbappé von Real Madrid: Darum bleibt sein Luxus-Auto in der Garage« (msn.com).

Tja, da kann man nur hoffen, dass von Ihren 72 Millionen Euro Jahresgehalt ein paar Cents übrig bleiben, um einen Chauffeur einzustellen.

Aber bitte vorher alles genau durchrechnen!

Mahnt Titanic

 Whaaaaaat, Michael Kretschmer?

Whaaaaaat, Michael Kretschmer?

»Tausende Bürgergeldempfänger könnten arbeiten, verweigern dies jedoch und bekommen so Geld vom Staat, für das die Steuerzahler hart arbeiten.«

Oha, Tausende Menschen? Das ist natürlich skandalös! Das sind ja Zahlen im vierstelligen Bereich. Wie soll sich ein Land wie Deutschland mit einer Einwohnerzahl im lediglich achtstelligen Bereich (das ist nur doppelt so viel!) das leisten können? Unter Umständen sind das ungefähr so viele Menschen, wie in Großröhrsdorf wohnen! Ein Glück, dass Sie, Kretschmer, Geld vom Staat bekommen, um solche Zahlen fachmännisch für uns einzuordnen!

Zählt zur Sicherheit noch mal an den eigenen Fingern nach:

Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Verdrehte Welt

Vermehrt las ich in letzter Zeit, bei Männern werde die Kombination aus langen Haaren und Dreitagebart als besonders attraktiv wahrgenommen. Da bin ich kurz davor wohl doch wieder falsch abgebogen. Dafür bin ich jetzt stolzer Träger eines langen Bartes und Dreitagehaars.

Dennis Boysen

 Aus einer Todesanzeige

»Wer sie kannte, weiß was wir verloren haben.« Die Kommasetzung bei Relativsätzen.

Frank Jakubzik

 Etwas Heißem auf der Spur

Jedes Mal, wenn ich mir im Hochsommer bei herabgelassenen Rollläden oder aufgespanntem Regenschirm vergegenwärtige, dass das Leben in unseren versiegelten Städten auf entsetzlich wechselhafte Weise öde und klimatisch vollkommen unerträglich geworden ist, frage ich mich unwillkürlich: TUI bono?

Mark-Stefan Tietze

 Zero Punkte für den Underdog

Nach meinem Urlaub in Holstein möchte ich an dieser Stelle eine Lanze für die oft zu Unrecht belächelte Ostsee brechen. Jene, so heißt es, sei eigentlich gar kein richtiges Meer und habe ihre unwürdige Existenz bloß einer brackigen XXL-Schmelzwasserpfütze zu verdanken. Wellen und Brandung seien lächerlich, die Strände mickrig und das Leben unter Wasser mit der Artenvielfalt in einem Löschtümpel vergleichbar. Außerdem habe ein Gewässer, in das man vierhundert Meter hineinschwimmen und danach selbst als Siebenjähriger noch bequem stehen könne, das Prädikat »maritim« schlicht nicht verdient. Vorurteile, die ich nur zu gerne mit fantastischen Bildern und spektakulären Videos widerlegen würde. Doch daraus wird dieses Mal nichts. Leider habe ich meine kompletten Küsten-Campingferien aus Versehen im »Freibad am Kleinen Dieksee« verbracht und den Unterschied erst zu spät bemerkt!

Patric Hemgesberg

 Abschied

Juckeljuckeljuckel,
Das Meer liegt hinterm Buckel,
Dort vorne, da ist Dover,
Da ist die Reise over.

Gunnar Homann

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

  • 27.08.: Bernd Eilert schreibt in der FAZ über den französischen Maler Marcel Bascoulard.
  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

  • 29.01.:

    Ein Nachruf auf Anna Poth von Christian Y. Schmidt im ND.

  • 13.04.:

    HR2 Kultur über eine TITANIC-Lesung mit Katinka Buddenkotte im Club Voltaire.

Titanic unterwegs
10.09.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Stargast Miriam Wurster
13.09.2024 Stade, Schwedenspeicher Ella Carina Werner
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer