Humorkritik | Februar 2024

Februar 2024

»Wir können die Frage, warum Franz Kafka gelacht hat, nicht beantworten.«
Wilhelm Genazino

Frühe Werke

»Ich will gar nicht abstreiten, dass meine Liebesaffären auch etwas Schäbiges an sich haben. Das haben sie. Haben es immer gehabt. Ich mag schäbige Affären. Was mich stört, ist die Annahme, dass, nur weil jemandes Liebesaffären schäbig sind, es überhaupt nichts ausmacht, ob sie schiefgehen oder nicht.«

Wer mit einem solchen Bekenntnis einsteigt, muss sich seiner Sache einigermaßen sicher sein. »Agents and Patients« war der vierte Roman eines Autors, der bei Erscheinen im Jahre 1938 eben dreiunddreißig geworden war. Den Namen Anthony Powell – Kenner erkennt man an der Aussprache des Nachnamens mit langem O statt breitem Au – verbindet man, wenn überhaupt, mit seinem Romanzyklus »Ein Tanz zur Musik der Zeit«, dessen zwölf Bände zwischen 1952 und 1975 verlegt wurden. Schon der Länge wegen blieb Powell der Vergleich mit Marcel Prousts »Recherche« nicht erspart. Autobiographisch unterfüttert sind beide Werke, weitere Ähnlichkeiten aber eher zufällig. Powell wehrte sich dagegen mit dem bedenkenswerten Argument: »Ich bin nicht homosexuell.«

Sprachlich steht sein Frühwerk Hemingway näher als Proust. Erst im letzten der fünf Romane, die Powell in den 30er Jahren publizierte, werden die Beschreibungen ausführlicher, die Sätze länger. Das Milieu und den ironischen Grundton kennen wir von Evelyn Waugh, mit dem Powell befreundet war: die englische leisure class, deren Vertreter im Ernstfall sogar am Versuch scheitern, sich selbst umzubringen.

Von solchen Peinlichkeiten handeln die fünf Frühromane. Obschon oft zu Vorstudien degradiert, sind diese Nebenwerke komischer als das Chef d’Œuvre. Um ihre Komik zu definieren, würde ich andere Namen bemühen als Proust: Es klingt, als habe Ernst Lubitsch Romane von Henry James bearbeitet, die Regie allerdings dem jungen Fellini überlassen. Das heißt vor allem: Vieles bleibt ungesagt. Die Figuren definieren sich selbst in Dialogen wie diesem: »Wir sitzen hier, während wir vielleicht große Dinge tun könnten, Sie und ich.« – »Könnten wir das?« – »Wissen Sie, was wir gerade tun?« – »Nein.« – »Soll ich es Ihnen sagen?« – »Ja.« – »Wir vergeuden unsere Jugend.«

Diesen Nichtsnutzen beim Zeitverschwenden zuzusehen ist ein Vergnügen, das gesteigert wird, wenn sie auf Vertreter der älteren Generation treffen, von deren Wohlwollen und Vermögen sie meist abhängig sind. Ganz ähnlich wie in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist das gegenseitige Unverständnis fundamental; anders als in den 60er Jahren führt das allerdings nicht zur Revolte, sondern in einen neuen Krieg. Powell schrieb, ohne das bittere Ende zu kennen, und konnte den Missverständnissen noch Komik abgewinnen: »Barlow sagte: ›Sie sind ein Kenner?‹ – Mr. Sheigan sagte: ›Ich liebe die Kunst. Ich kann einfach nicht ohne sie leben.‹ – ›Wirklich nicht?‹ – ›So bin ich nun mal.‹ – ›Machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden Sie nicht verletzen. Sie sind unter Freunden.‹«

Barlow, das ist übrigens ein junger Maler, der dazu neigt, wahllos Heiratsanträge zu machen, Sheigan ist älter und hat Geld. Beide gehören zum Personal von Powells erstem Roman Afternoon Men von 1931. Der deutsche Titel »Die Ziellosen« ist mir entschieden zu programmatisch; auch andere Titelübersetzungen bemühen sich allzu sehr um Deutlichkeit: »Täuschung und Selbsttäuschung« (What’s become of Waring) handelt von einer Plagiatsaffäre, »Handelnde und Duldende« (Agents and Patients) von einem hochstaplerischen Filmprojekt, in »Tod am Morgen« (From a View to a Death) darf ein Major auftreten, der gern Abendkleider trägt. Nur »Venusberg«, in einem baltischen Land angesiedelt, heißt so wie das Original.

Trotz kleiner Mängel ist es schön, dass inzwischen alle frühen Romane in deutscher Sprache erschienen sind. Wem Evelyn Waugh bisweilen zu bitter schmeckt, P. G. Wodehouse (der Powell bewunderte) zu albern ist und Graham Greene (den er auch gut kannte) zu engagiert tönt, der lese Anthony Powell.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
23.05.2024 Bielefeld, Theaterlabor Max Goldt
24.05.2024 Dresden, Buchladen Tante Leuk Thomas Gsella
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst »POLO«
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Hans Traxler: »Die Dünen der Dänen«