Humorkritik | Juli 2022
Juli 2022
»Es gibt 100 Witzige gegen einen der Verstand hat, ist ein wahrer Satz, womit sich mancher witzlose Dummkopf beruhigt, der bedenken sollte, wenn das nicht zuviel von einem Dummkopf gefordert heißt, daß es wieder 100 Leute, die weder Witz noch Verstand haben, gegen einen gebe, der Witz hat.«
Georg Christoph Lichtenberg
Nachmachen und Bier trinken
Im Ideal-, und das heißt natürlich Ausnahmefall kann das Interview als eigenes Genre der Kunst, und also auch der komischen, durchgehen, wie ich an dieser Stelle sporadisch an prominenten Beispielen wie P. Handke oder W. Koeppen veranschaulicht habe. Meine Erwartung, auch und vielleicht gerade im Fall des großen Gerhard Polt könne, ja müsse es ähnlich liegen, wurde bei der Lektüre der zu Polts 80. erschienenen Sammlung von 19 zwischen 1990 und 2021 entstandenen Polt-Interviews (»Ich muss nicht wohin, ich bin schon da«, Kein & Aber) nicht enttäuscht. Komisch ist es zum Beispiel, wenn Polt ins gepflegte »Philosophieren« gerät (»Es ist erstaunlich, dass ein Mensch am Abend so endet, wie er am Morgen angefangen hat«) oder prätentiöse Fragen mit angemessenen Antworten bedenkt: »Haben Dinge eine Seele? Das kommt drauf an, was man unter einem Ding versteht. Man kann natürlich sagen, wenn ein Stuhl es schafft, dass man auf ihn reagiert, dann strahlt er auch etwas aus.« Oder auch: »Herr Polt, woran erkennt man, dass man erwachsen ist? – In dem Moment, wo man es erkennt.« Gut gegeben.
In der Gesamtschau sind die Gespräche unvermeidlich ein wenig redundant und austauschbar und nicht einmal immer lustig. Vornehmlich gibt sich Polt als freundlicher Herr, der den ihn befragenden Personen umstandslos die gewünschten sachdienlichen Auskünfte gibt, und gehe es auch um so wunderliche Dinge wie die »olympischen Leichtathletikspiele in Oslo« oder Polts »aktuelle Meinung zum Thema Stand-up-Paddeln«. Für mich besonders interessant sind naturgemäß jene Gespräche, die sich um Polts Verständnis von Komik bzw. deren Techniken drehen: »Wie Leute im ICE im Speisewagen schnell was runterwürgen, daneben haben sie noch einen Laptop stehen … natürlich ist das an und für sich auch komisch, es ist gut nachzumachen.«
Dennoch kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass Polt immer etwas für sich behält. Auch bei der Lektüre der Interviews wird deutlich, dass Polt, ähnlich seinen unsterblich nachgemachten Figuren, die er in scheinbarer Naivität als wertfrei beobachtete Studienobjekte auf die Bühne oder Leinwand brachte und bringt, auch sich selbst als vorgeblich bescheiden vor sich hin »sinnlosenden«, arg- und harmlosen Durchschnittstypen präsentiert: »Ich weiß nicht, warum sie in Donezk umeinander schießen. Ich kann nur ein Bier trinken und das eigene Nichtwissen in die Waagschale werfen.« Darauf, dass diese Selbstinszenierung Teil eines Spiels mit Understatement und Ironie ist, deuten auch die routiniert wiederholten und von den Interviewpartnern wie Neuigkeiten präsentierten roten Fäden der Gespräche hin, so die Geschichte eines wegen seiner »Ruhe und Ausgeglichenheit« immer wieder als Vorbild gepriesenen stoischen Bootsverleihers. Vorgebliche Absichts- und Bedeutungslosigkeit: Die eigene Person und ihre Popularität sind in dieses gelegentlich die Gepflogenheiten von Interviews parodierende Ritual integriert, etwa wenn Polt betont, wie ungern er sich der leidigen Pflicht, sich befragen zu lassen, aussetzt, dies aber in einer Frequenz tut, die man, der Poltschen Logik folgend, eigentlich als Masochismus interpretieren müsste.