Humorkritik | Juli 2022

Juli 2022

»Es gibt 100 Witzige gegen einen der Verstand hat, ist ein wahrer Satz, womit sich mancher witzlose Dummkopf beruhigt, der bedenken sollte, wenn das nicht zuviel von einem Dummkopf gefordert heißt, daß es wieder 100 Leute, die weder Witz noch Verstand haben, gegen einen gebe, der Witz hat.«
Georg Christoph Lichtenberg

Filmfilm

Eine Brücke mit seinem Namen soll sein Vermächtnis an die Nachwelt sein, ihn unsterblich machen. Oder vielleicht doch lieber ein von ihm produzierter Film, ein Meisterwerk für die Ewigkeit? Der schwerreiche Industrielle auf der Zielgeraden des Lebens entscheidet sich schließlich für Letzteres – ein Glück, denn dem Bau einer Brücke zuzuschauen hätte vermutlich nicht den gleichen Unterhaltungswert gehabt, wie die Proben zu einem Film zu verfolgen. Damit dieser ein Erfolg wird, ja »Der beste Film aller Zeiten« (so der deutsche Titel des argentinisch-spanischen »Competencia oficial«), engagiert der Industrielle drei der teuersten Filmgrößen der Gegenwart: den Charakterdarsteller und legendären Theatermann Iván Torres (Oscar Martínez), den Hollywood-Superstar Félix Rivero (Antonio Banderas) und die geniale, aber als eigensinnig berüchtigte Regisseurin Lola Cuevas (Penélope Cruz).

Das gigantische Anwesen des präpotenten Produzenten, auf dem die Proben für die Dreharbeiten stattfinden, ist dabei gerade groß genug für die Egos der drei Schwergewichte. Zunächst stehen dabei die Männer im Zentrum, die sich, bei aller vordergründigen Gegensätzlichkeit, sehr ähnlich sind, was zu beständigen künstlerischen Schwanzvergleichen führt und zu zahllosen (komischen) Konflikten: Während sich der bildungsbürgerliche Theaterstar Iván heimlich nach dem großen Publikumserfolg sehnt – er probt schon mal die Oscarverleihung vor dem Badezimmerspiegel, freilich nur, um den Preis (bzw. den schäbigen Wasserkocher, der dafür stellvertretend herhalten muss) bedeutungsschwer abzulehnen –, verzehrt sich Félix bei allem Ruhm und Geld danach, im Arthouse-Kino wahrgenommen zu werden. Beide sehen in Lolas Film ihre jeweilige Chance gekommen. Lola selbst steht dabei vermittelnd zwischen den beiden: Sie ist zwar von ausgeglichenem und freundlichem Wesen, lässt sich aber doch nicht allzu lange von den zwei Machos auf der Nase herumtanzen. Im Gegenteil: Bei zahlreichen Mutproben spielt sie Iván und Félix geschickt gegeneinander aus und bringt sie wiederholt in Situationen, die deren Selbstverständnis oder sogar körperliche Unversehrtheit gefährden: etwa, wenn über ihren Köpfen Felsbrocken schweben oder sie fixiert werden und erleiden müssen, dass ihre Filmpreise und -trophäen vor ihren Augen geschreddert werden.

Aufgrund der Film-im-Film-Struktur des Plots weiß man zwar zu jeder Zeit, dass alles (doppelt) gespielt ist, geht den Geschichten aber dennoch fast unweigerlich auf den Leim: Die Metaebenen, die illusionsbrechend wirken könnten, verstärken den Effekt sogar noch. Zu verdanken ist das den Dialogen und Einfällen der argentinischen Drehbuchautoren und Co-Regisseure Mariano Cohn und Gastón Duprat, die sich besonders darauf verstehen, scheinbar unbedeutende, wenn auch etwas seltsam erscheinende Details viel später wieder aufzugreifen und zur Pointe zu machen. Die Schauspielleistungen sind ohnehin grandios; sich dem Spielwitz und den beständigen Sticheleien der liebenswerten Ekelpakete und (Selbst-)Darstellerinnen hinzugeben ist ein großer Spaß.

»Competencia oficial« feierte seine Weltpremiere beim offiziellen Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig. Hierzulande ist er seit Ende Juni im Kino.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Also echt, Hollywood-Schauspieler Kevin Bacon!

»Wie wäre es eigentlich, wenn mich niemand kennen würde?« Unter diesem Motto verbrachten Sie mit falschen Zähnen, künstlicher Nase und fingerdicken Brillengläsern einen Tag in einem Einkaufszentrum nahe Los Angeles, um Ihre Erfahrungen als Nobody anschließend in der Vanity Fair breitzutreten.

Die Leute hätten sich einfach an Ihnen vorbeigedrängelt, und niemand habe »Ich liebe Dich!« zu Ihnen gesagt. Als Sie dann auch noch in der Schlange stehen mussten, um »einen verdammten Kaffee zu kaufen«, sei Ihnen schlagartig bewusst geworden: »Das ist scheiße. Ich will wieder berühmt sein.«

Das ist doch mal eine Erkenntnis, Bacon! Aber war der Grund für Ihre Aktion am Ende nicht doch ein anderer? Hatten Sie vielleicht einfach nur Angst, in die Mall zu gehen und als vermeintlicher Superstar von völlig gleichgültigen Kalifornier/innen nicht erkannt zu werden?

Fand Sie nicht umsonst in »Unsichtbare Gefahr« am besten: Titanic

 Ach, welt.de!

Die Firma Samyang stellt offenbar recht pikante Instant-Ramen her. So pikant, dass Dänemark diese jetzt wegen Gesundheitsbedenken vom Markt genommen hat. Und was machst Du? Statt wie gewohnt gegen Verbotskultur und Ernährungsdiktatur zu hetzen, denunzierst Du Samyang beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, wo Du fast schon hämisch nachfragst, ob das Produkt vielleicht auch hierzulande verboten werden könne.

Das Amt sekundiert dann auch sogleich bei der Chilifeindlichkeit und zählt als angebliche »Vergiftungssymptome« auf: »brennendes Gefühl im (oberen) Magen-Darm-Trakt, Sodbrennen, Reflux bis hin zu Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen im Bauch- und Brustraum. Bei hohen Aufnahmemengen können zudem Kreislaufbeschwerden auftreten – beispielsweise Kaltschweißigkeit, Blutdruckveränderungen und Schwindel«. Hallo? Neun von zehn dieser »Nebenwirkungen« sind doch der erwünschte Effekt einer ordentlich scharfen Suppe! Erbrechen müssen wir höchstens bei so viel Hetze!

Feurig grüßt Titanic

 Mahlzeit, Erling Haaland!

Mahlzeit, Erling Haaland!

Zur Fußballeuropameisterschaft der Herren machte erneut die Schlagzeile die Runde, dass Sie Ihren sportlichen Erfolg Ihrer Ernährung verdankten, die vor allem aus Kuhherzen und -lebern und einem »Getränk aus Milch, Grünkohl und Spinat« besteht.

»Würg!« mögen die meisten denken, wenn sie das hören. Doch kann ein Fußballer von Weltrang wie Sie sich gewiss einen persönlichen Spitzenkoch leisten, der die nötige Variation in den Speiseplan bringt: morgens Porridge aus Baby-Kuhherzen in Grünkohl-Spinat-Milch, mittags Burger aus einem Kuhleber-Patty und zwei Kuhherzenhälften und Spinat-Grünkohl-Eiscreme zum Nachtisch, abends Eintopf aus Kuhherzen, Kuhleber, Spi… na ja, Sie wissen schon!

Bon appétit wünscht Titanic

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

 An Deiner Nützlichkeit für unsere Knie, Gartenkniebank AZBestpro,

wollen wir gar nicht zweifeln, an Deiner Unbedenklichkeit für unsere Lungen allerdings schon eher.

Bleibt bei dieser Pointe fast die Luft weg: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster