Humorkritik | Januar 2022

Januar 2022

»was?! glaubt ihr denn ich hätte keinen scheisshumor? Da seid ihr aber verdammt schief damit ….! verdammt schief! verdammtverdammt verdammt verdammt schief …! gottverdammt schief …. schief!! ich versteh … zwar kein sterbenswörtlein mehr … aber humor … humor habe! Das muss mir der neid lassen!«
Oswald Wiener, »die verbesserung von mitteleuropa, roman«

Deix post mortem

Ursprünglich sollte der Film über die Jugend des wohl berühmtesten österreichischen Karikaturisten Manfred Deix »Rotzbub« heißen. In Wien, sagt man mir, wird er auch noch so plakatiert – in Deutschland hat man sich für den erfreulich direkten (Unter-)Titel »Willkommen in Siegheilkirchen« entschieden. Dort nämlich, in dem fiktiven niederösterreichischen Dorf gleichen Namens, spielt sich das jugendliche Leben des späteren Zeichners ab, als Spießrutenlauf zwischen dem prügelnden Pfarrer, gestrengen Wirtshaus-Eltern, einem malenden Nazi-Onkel und Dorfhonoratioren, die dem Nationalsozialismus nicht nur nachtrauern, sondern ihn auch in den 1960ern noch praktizieren. Da wird schon einmal mit ausgestrecktem Arm gegrüßt, und auch den »Rotzbuben« fordert man mehrmals dazu auf.

In diese braune Trostlosigkeit platzen vier Neuankömmlinge. Während die neue Nachbarin, insbesondere deren beeindruckende »Dutteln«, die Begierde (und den porträtierenden Kunsttrieb) des ca. 14jährigen wecken, eröffnet der Städter und Ex-Musiker Poldi ein Hippie-Bistro, versorgt fürderhin die Landjugend mit Bier und bedient, anders als der Rotzbub-Papa, auch das jugendliche Romamädchen Mariolina und deren Mutter, die außerhalb des Dorfes in einem Trailerpark campieren. Bald verknallt sich der Bub in die überaus selbstbewusste und freche »Zigeunerin« und muss schließlich, gemeinsam mit einigen Helfern, einen geplanten Brandanschlag der Dorfnazis auf sie und ihre Leute verhindern.

Der 2016 verstorbene Deix wird im Abspann als »Art Director« aufgeführt und hat das Projekt tatsächlich zu Lebzeiten mitvorbereitet, die Figuren mitentworfen und laut Regisseur Marcus H. Rosenmüller das Drehbuch »abgenommen«. Genau so sieht der Film auch aus: wie eine lebendig gewordene, wenn auch etwas polierte Deix-Welt, frivol und obszön, deren wichtigstes Element die menschlichen Körper sind; riesige, gewissermaßen entgrenzte Leiber. Schlankheit repräsentiert hier statt Vitalität eher Mangel: Der monströse, sabbernde, grotesk übergewichtige Bürgermeister ist so aggressiv wie bigott, während der hagere Nazi-Friseur mit dem SS-Undercut in seiner fahlen Gemeinheit an Krankheit und Siechtum denken lässt.

Gestört haben mich die mitunter ungebrochen präsentierten Klischees, etwa wenn das Leben der Roma zwischen Lagerfeuer und nächtlichen Fußballspielen als besonders lustig romantisiert wird und man somit dem Vorurteil, das doch als falsches offengelegt werden soll, selbst auf den Leim geht. Insgesamt hat mir das alles aber sehr gefallen, vor allem dann, wenn Regie und Drehbuch die österreichische Nachkriegsgesellschaft als jene notgeil-menschenfeindliche Jauchegrube vorführen, die sie war und vielerorts bis heute ist. Und ganz besonders wegen des erfreulichen Finales, in dem die Nazis genau das abbekommen, was sie verdienen. Aber schauen S’ Ihnen das bitt’schön selber an, gell?

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg