Humorkritik | November 2021

November 2021

»Die erste Satire wurde gewiss aus Rache gemacht. Sie zur Besserung seines Nebenmenschen gegen die Laster und nicht gegen den Lasterhaften zu gebrauchen, ist schon ein geleckter, abgekühlter, zahm gemachter Gedanke.«
Georg Chr. Lichtenberg

Von Alten lernen

Was nützt es, sich mit dem Werk toter Satiriker befassen? Mit Frank Wedekind z. B., der zwischen 1896 und 1902 den »Simplicissimus« mit, wie er selbst sagte, »Witzen, Gedichten und anderem Mist« belieferte? Liest unsereins heute seine »Gedichte aus dem ›Simplicissimus‹« (erschienen bei Wallstein), ermüdet das altbackene Gerumpel kunstloser Verse und Reime, selbst die Attacken wider die verkniffene Sexualmoral im Kaiserreich, die weiland von »genialer Frechheit« zeugten (so 1901 ein Kritiker), machen anitzo gähnen, weil sie nichts und niemanden mehr treffen.

Fürs politische Lied sollte es besser aussehen, weil die Justiz Majestätsbeleidigung noch 2017, bis zur Causa Böhmermann/Erdoğan, auf dem Radar hatte. Doch was die Obrigkeit sintemalen ob der Gedichte »Im Heiligen Land« und »Meerfahrt« erschauern ließ und als aufrührerische Kritik an des Kaisers großmannssüchtiger Palästinafahrt von 1898 galt, wirkt heute zahm und lahm. Bestenfalls ist’s brav humoristisch, was Wedekind den aus dem Grab gestiegenen König David leiern lässt, der so den hohen Besuch preist: »So sei uns denn noch einmal hoch willkommen / Und laß dir unsere tiefste Ehrfurcht weihn, / Der du die Schmach vom Heil’gen Land genommen, / Von dir bisher noch nicht besucht zu sein.«

Zu welchem Behufe sich also mit dem Werk des toten Satirikers befassen? Weil man bloß von Form und Inhalt absehen muss, und schon entdeckt man, was heute noch Vorbild ist: Wedekind lässt sich auf keine Linie festnageln. »Weder die Regierung noch die Sozialdemokraten« (die anno dazumal noch umstürzlerisch gesinnt waren), »weder die Lakaien noch die Potentaten, / weder der Leutnant noch das Mädchen vom Ballett« sind vor ihm sicher: Er lehnt die Autorität von Personen, Institutionen und Ideologien prinzipiell ab, ob in politicis, ob in sexualitis und überhaupt; auf eine gültige Formel gebracht: Das Wichtigste ist die Freiheit, was die Frechheit einschließt, allen zu widersprechen. Oder will mir da jemand widersprechen?

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann