Humorkritik | November 2021

November 2021

»Die erste Satire wurde gewiss aus Rache gemacht. Sie zur Besserung seines Nebenmenschen gegen die Laster und nicht gegen den Lasterhaften zu gebrauchen, ist schon ein geleckter, abgekühlter, zahm gemachter Gedanke.«
Georg Chr. Lichtenberg

Auf dem langen Dienstweg

Schwerer als französische Filmkomödien haben es hierzulande italienische. Auch die erfolgreiche Handy-weg-Geschichte »Das perfekte Geheimnis« kam erst über den Umweg Frankreich nach Deutschland, obwohl der Originalstoff aus Italien stammt, wo die »Perfetti sconosciuti« bereits 2016 Aufsehen erregten. Im selben Jahr fand nur ein italienischer Film stärkeren Zuspruch: »Quo vado?«, »Der Vollposten« (deutscher Titel) ist mir im Kino entgangen, bei Amazon habe ich ihn im Original mit Untertiteln gesehen.

Deutsche Kritisierende sahen darin den Niedergang des italienischen Kinos auf den absoluten Nullpunkt und weinten den »cineastischen Perlen von Fellini und Antonioni, Rosi und Rossellini« nach. Genauso schlecht könnte man »Fack ju Göhte« an den Meisterwerken von Murnau und Lang, Robert Siodmak und Otto Preminger messen: Die gut zehn Millionen Zuschauer, die »Quo vado?« binnen sechs Wochen zu einem der erfolgreichsten Filme der italienischen Geschichte machten, zu Vollpfosten zu degradieren, zeugt von Ignoranz und Denkfaulheit. Vergleichen lässt er sich schon eher mit dem französischen Kassenschlager »Bienvenue chez les Ch’tis«, da er mit volkseigenen Vorurteilen und Klischees ähnlich unverschämt herumspielt. Der italienische Komiker Checco Zalone, in Italien ein Fernsehstar, verkörpert hier mit Glatze und ohne Taille eine Figur, in der die gängigen Witze über Italiener und Beamte gebündelt sind: ein Muttersöhnchen, ignorant, renommistisch und arbeitsscheu. Bereits als Erstklässler hat er sich entschlossen, sein Leben ganz der behördlichen Stempelei zu widmen. An dieser Festanstellung wird er eisern festhalten.

Darauf basiert die Geschichte, die ihn aus Süditalien in den höchsten Norden Europas führt, bevor sie in Afrika endet. Nach allen Regeln der komischen Kunst wird Checco vor immer neue Probleme gestellt: Sein Posten soll wegrationalisiert werden, Checco wird strafversetzt, er verliebt sich in eine promiske Polarforscherin und versucht, sich den Sitten seines Gastlandes Norwegen anzupassen, bis er – beim Anblick des wiedervereinten »Felicità«-Pärchens Al Bano & Romina Power im norwegischen Fernsehen – in Tränen ausbricht, weil er von Heimweh getrieben seine Italianità nicht länger verleugnen kann.

Den Erfolg des Films darauf zurückzuführen, dass sich Millionen Italiener mit der reaktionären Haltung des Helden identifizieren, ist natürlich Unsinn. Ebenso gut könnte man sich Peter Lorres »M« zum Vorbild nehmen und es für eine gute Idee halten, kleine Mädchen umzubringen. Zur Identifikation taugt Checcos jämmerliche Figur jedenfalls nicht, im Gegenteil: Alles typisch Italienische wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Dass dieses Lachen nicht im Halse stecken bleibt, weil Tempo und Pointendichte stimmen und die meisten Gags auch funktionieren, ist das (nicht besonders geheime) Geheimnis solcher Erfolge. Und das Happy End? Das gehört bei Komikerfilmen nun einmal zu den unvermeidlichen Genrekonventionen – in diesem Fall ist es ohnehin unglaubwürdig genug.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg