Humorkritik | Januar 2021

Januar 2021

Keine Sache ist wirklich ernst zu nehmen, nur der lebende Mensch ist es.
Hermann Keyserling

Mademoiselles Kartoffelung

Kurz vor Weihnachten soll, sofern die Kinos wieder öffnen dürfen, die neue Komödie von Sönke Wortmann starten. Sie heißt »Contra« und ist ein Remake des französischen Films »Die brillante Mademoiselle Neïla« (Originaltitel: »Le Brio«), der selbst erst vor einem Jahr herauskam. Damit hat Wortmann nach »Der Vorname« zum zweiten Mal hintereinander eine französische Erfolgskomödie adaptiert – und ich möchte dem Mann ungern ins Handwerk pfuschen, aber: Muss man sich seine Inspirationen denn dauernd aus dem Kino holen?

Dabei ist »Contra« ein durchaus fröhlicher Film. Die junge Schauspielerin Nilam Farooq spielt die Jurastudentin Naima, die an der Frankfurter Goethe-Universität zu spät zu einer Vorlesung kommt und deswegen von dem arroganten, rechtskonservativen Professor Pohl (Christoph Maria Herbst) rassistisch angegangen und bloßgestellt wird. Als die Szene auf Youtube landet, wird Pohl von seinem Vorgesetzten dazu verdonnert, Naima auf einen prestigeträchtigen Debattier-Wettbewerb vorzubereiten. Nach anfänglichen Animositäten raufen sich die beiden zusammen, das Ganze wird eine Erfolgsgeschichte.

Wie im Original sind auch im deutschen Remake vor allem die Szenen lustig, in denen Naimas Jugendfreunde auftauchen: die sogenannten »Unterschichtler« aus ihrer alten Frankfurter Hochhaussiedlung. Dass junge Ausländer in Deutschland ihre Einbürgerung mit einer »Kartoffelparty« feiern würden, bei der, wie Naimas Jugendliebe Mo aufzählt, »alles nur aus Kartoffeln« besteht – »Bratkartoffeln, Kartoffelpuffer, Kartoffelsalat, Kartoffelgratin, Kartoffelecken, Kartoffeln Prinzessinnen Art« – hat mich mindestens schmunzeln lassen; gelacht habe ich bei dem Kommentar eines Freundes, der während des ersten Kusses von Naima und Mo lauthals feststellt, das sei »ja ekelhaft, die kennen sich, seit die zwei sind, das ist Inzest!«

Die große Schwäche sowohl des Originals als auch des Remakes besteht darin, dass wir dabei zuschauen, wie eine junge, widerspenstige Frau aus einfachen Verhältnissen von einem arroganten, unentwegt in Schopenhauer-Rabulistik schwelgenden Ekel in eine distinguiert-folgsame Kleinbürgerin verwandelt wird. Die aufstrebende Naima dient dabei als Alibifigur rassistischer Alpha-Männer, und den »Unterschichtlern« im Publikum wird sie als Beweis dafür präsentiert, dass jede »es schaffen kann«, wenn sie nur vom richtigen Mentor gecoacht wird – und sei dies ein vor Ressentiments strotzender Wutprofessor, der mit rhetorischen Taschenspielertricks Studentinnen quält. Daran ändert auch die dramaturgische Volte im Finale nichts.

So bleibt mir nur übrig, statt Wortmanns Kartoffel-Version das etwas besser gespielte, pointiertere und stringenter erzählte Original zu empfehlen. Aber auch das ist mit Vorsicht zu genießen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg