Humorkritik | Januar 2021

Januar 2021

Keine Sache ist wirklich ernst zu nehmen, nur der lebende Mensch ist es.
Hermann Keyserling

Lachen »mit« Laschet

Ich sehe Armin Laschet sehr gern. Schon rein körperlich strahlt der NRW-Ministerpräsident eine kohlsche Saturiertheit, eine katholische Rausg’fressenheit aus, die man angesichts zunehmend athletisch auftretender Sportivpolitiker inzwischen oft vermisst. Mit großem Vergnügen habe ich daher auch die im September erschienene Laschet-Biografie von Tobias Blasius und Moritz Küpper gelesen (»Der Machtmenschliche«, Klartext), denn fast auf jeder Seite schlägt einem da die faulig-wohlige Wärme entgegen, die der lebenslänglich im Brutkasten der katholischen Kirche ernährte Laschet habituell in den Diskurs atmet. Oder, um es mit den von Formulierung zu Formulierung stolpernden Autoren zu sagen: »Er redet, denkt, wirkt und lebt heute noch fast genauso wie beim Parteieintritt 1979.«

Stets bemüht, Laschets menschliche Seite herauszuhobeln, versammeln Blasius/Küpper Sätze von fast schwereloser Albernheit: »Er hat Spaß daran, sich kaputt zu lachen«, beobachten sie; »Man nimmt ihm ab, dass er sich wie ein Kind über einen Teller Pommes mit Mayo freuen kann«, behaupten sie. Und notieren bewundernd, »dass der Armin nach all den Jahren, die er bei nächtlichen Fahrten im Dienstwagen verbracht hat, inzwischen ohne Navigationsgerät alle Autobahnraststätten mit McDonald’s-Filialen verorten« könne. Gelegentlich scheint ihnen ihr Porträt des pommesfressenden Lachkinds Laschet selbst zu sehr ins Unseriöse abzudriften; das Bedürfnis, kontrastierend den Staatsmann aufzubauen, wird dadurch aber noch lächerlicher, etwa, wenn selbst ein Treffen mit Marmeladenfabrikanten im Rotary Club zum wichtigen Entscheider-Event aufgebauscht wird (»Neben Hochschullehrern und Medizinern sind dort auch Leute wie ... Franz Zentis, Mitinhaber der Marmeladenfabrik Zentis, Mitglieder. Laschet bewegt sich in schlafwandlerischer Sicherheit in den Aachener Entscheidungszirkeln«). Trotz dieser mächtigen Bekanntschaften geben die Autoren angesichts eines möglichen Kanzlerkandidaten Laschet Entwarnung: »Laschet ist selbst kein totalitärer Typ, bewundert keine autoritär auftretenden Politiker und will in keinem diktatorischen Staat leben.« Da haben wir aber noch mal Glück gehabt!

Ich empfehle die Lektüre dieses Buchs als Studie eines Politiker-Lebensstils, den man eigentlich ausgestorben wähnte, irgendwo zwischen Schnittchenbuffet und Hostienspeisung – wie auch als Florilegium unfreiwillig amüsanter Sätze, von denen Susanne Laschets vielleicht die schönsten sind: »Mein Mann hört sich gerne an, was ich zu sagen habe. Bestimmt bleibt da einiges hängen. Eine 180-Grad-Wende kriege ich aber nicht hin.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

 Wenn, Sepp Müller (CDU),

Bundeskanzler Olaf Scholz, wie Sie ihm vorwerfen, in einem »Paralleluniversum« lebt – wer hat dann seinen Platz in den Bundestagsdebatten, den Haushaltsstreitgesprächen der Ampelkoalition, beim ZDF-Sommerinterview usw. eingenommen?

Fragt die Fringe-Division der Titanic

 Grüß Gott, Markus Söder!

Weil der bayerische AfD-Chef Sie wiederholt »Södolf« genannt hat und Sie ihn daraufhin anzeigten, muss dieser Ihnen nun 12 000 Euro wegen Beleidigung zahlen. Genau genommen muss er den Betrag an den Freistaat Bayern überweisen, was aber wiederum Ihnen zugutekommt. Ebenjener zahlt Ihnen ja die Honorare für freie Fotograf/innen, von denen Sie sich bei öffentlichen Anlässen gern begleiten und ablichten lassen. Im Jahr 2022 sollen sich die Kosten auf stolze 180 000 Euro belaufen haben.

Vorschlag: Wenn es Ihnen gelingt, die Prasserei für Ihr Image komplett durch Klagen gegen AfD-Mitglieder querzufinanzieren, stoßen wir uns weniger an Ihrem lockeren Umgang mit öffentlichen Geldern.

Drückt vorauseilend schon mal beide Augen zu: Titanic

 »Welt«-Feuilletonist Elmar Krekeler!

»Friede eurer gelben Asche, Minions!« überschrieben Sie Ihre Filmkritik zu »Ich – einfach unverbesserlich 4«. Vorspann: »Früher waren sie fröhliche Anarchisten, heute machen sie öde Werbung für VW: Nach beinahe 15 Jahren im Kino sind die quietschgelben Minions auf den Hund gekommen. Ihr neuestes Kino-Abenteuer kommt wie ein Nachruf daher.«

Starkes Meinungsstück, Krekeler! Genau dafür lesen wir die Welt: dass uns jemand mit klaren Worten vor Augen führt, was in unserer Gesellschaft alles schiefläuft.

Dass Macron am Erstarken der Rechten schuld ist, wussten wir dank Ihrer Zeitung ja schon, ebenso, dass eine Vermögenssteuer ein Irrweg ist, dass man Viktor Orbán eine Chance geben soll, dass die Letzte Generation nichts verstanden hat, dass Steuersenkungen für ausländische Fachkräfte Deutschlands Todesstoß sind und dass wir wegen woker Pronomenpflicht bald alle im Gefängnis landen.

Aber Sie, Elmar Krakeeler, haben endlich den letzten totgeschwiegenen Missstand deutlich angesprochen: Die Minions sind nicht mehr frech genug. O tempora. Titanic

 Mmmh, Futterparadies Frankfurt a. M.!

Du spielst in einem Feinschmecker-Ranking, das die Dichte der Michelin-Sterne-Restaurants großer Städte verglichen hat, international ganz oben mit: »Laut einer Studie des renommierten Gourmet-Magazins Chef’s Pencil teilen sich in der hessischen Metropole 77 307 Einwohner ein Sterne-Restaurant.«

Aber, mal ehrlich, Frankfurt: Sind das dann überhaupt noch echte Gourmet-Tempel für uns anspruchsvolle Genießer/innen? Wird dort wirklich noch köstlichste Haute Cuisine der allerersten Kajüte serviert?

Uns klingt das nämlich viel eher nach monströsen Werkskantinen mit übelster Massenabfertigung!

Rümpft blasiert die Nase: die Kombüsenbesatzung der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster