Humorkritik | Januar 2021

Januar 2021

Keine Sache ist wirklich ernst zu nehmen, nur der lebende Mensch ist es.
Hermann Keyserling

Mittelmarsch

Wer »Middlemarch«, George Eliots alias Mary Ann Evans’ viktorianischen Gesellschaftswälzer, den Literaturkritik und -wissenschaft 2015 zum »bedeutendsten britischen Roman« erkoren haben, nicht im Original lesen mag, kann neuerdings auf zwei Übersetzungen zurückgreifen: eine »völlig neubearbeitete« bei DTV (»neubearbeitet« klingt allerdings wie »neu renoviert«) und eine gänzlich neue bei Rowohlt. Wer alle drei Bücher besitzt, mag sich die Zeit mit Stellenvergleichen vertreiben, wobei, vielleicht erwartbar, herauskommt, dass nicht viel herauskommt: Die neue Übersetzung ist in erster Linie anders (und muss es ja auch sein), was sich etwa darin ausdrückt, dass das Gesprächsfüllsel »you know« leicht blödsinnig mit »Sie wissen schon« statt, wie in der alten Version, mit »wissen Sie« übersetzt wird.

Die bald trockene, bald mokante Ironie des 1874 erstveröffentlichten Originals entzieht sich dem deutschen Zugriff etwas, was als Indiz dafür gelten mag, dass sich die legendäre stiff upper lip der Fähigkeit des Englischen zur Knappheit verdankt: »Society never made the preposterous demand that a man should think as much about his own qualifications for making a charming girl happy as he thinks of hers for making himself happy. As if a man could choose not only his wife but his wife’s husband!«

Übersetzung alt (Rainer Zerbst): »Die Gesellschaft hat nie die lächerliche Forderung erhoben, dass ein Mann genauso viel darüber nachdenken soll, inwieweit seine Qualifikationen ein reizendes Mädchen glücklich machen können, so wie er darüber nachdenkt, inwieweit die ihren ihn selbst glücklich machen können. Als ob ein Mann nicht nur seine Frau wählen konnte, sondern auch noch den Gatten seiner Frau!« Übersetzung neu (Melanie Walz): »Die Gesellschaft hat noch nie die anmaßende Forderung vertreten, dass ein Mann sich ebenso Gedanken darüber machen solle, ob er eine bezaubernde junge Frau glücklich machen, wie darüber, ob sie ihn glücklich machen könne. Als wählte ein Mann nicht nur seine Ehefrau, sondern auch den Ehemann seiner Frau!«

Hier scheint mir zwar der Gedanke, dass in der Kürze die Würze liege, für den schlanken neuen Versuch zu sprechen, doch wortgetreuer ist der alte. Möchte sein, es ist dies ein Nullsummenspiel, weshalb ich hier, um mich nicht entscheiden zu müssen, das Original empfehle.

Bin halt auch ein Snob, you know.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wenn Sie, Micky Beisenherz,

als Autor des »Dschungelcamps« gedacht hatten, Sie könnten dessen Insass/innen mit einer Scherzfrage aus der Mottenkiste zu der Ihnen genehmen Antwort animieren, dann waren Sie aber so was von schief gewickelt; die RTL-»Legenden« wollten Ihnen nämlich partout nicht den Gefallen tun, auf die Frage, womit sich Ornitholog/innen beschäftigten, einfach und platterdings »mit Vögeln« zu antworten.

Stattdessen kamen: »Was ist das denn?« oder »What the fuck …?«. Dafür zu sorgen, dass so aus Ahnungslosigkeit ein Akt des Widerstands gegen Ihre idiotische Fangfrage wurde, das soll Ihnen, Beisenherz, erst mal jemand nachmachen.

Mit der Ihnen gebührenden Hochachtung: Titanic

 Interessant, was Sie da sagten, Erling Haaland (Manchester City)!

»Die besten Spieler sind die besten in den einfachsten Dingen. Mit der rechten Hand berühren und mit der linken passen. Das ist das Wichtigste. Pep sagt das immer wieder zu mir.«

Mit welcher Hand man dann das Tor erzielt, ist egal, meint im Gedenken an Diego Maradona Titanic

 Keine Frage, DHT Speditionsgesellschaft,

steht da auf Deinen Lkw, sondern eine Aussage: »Lust auf Last«.

Als Du damit auf der Autobahn an uns vorbeirauschtest, waren wir erst mal verwirrt: Kann man wirklich Lust auf etwas haben, was laut Duden »durch sein Gewicht als drückend empfunden wird«? Erst dachten wir noch, dass Du vielleicht was anderes damit meinst. »Last Christmas, I gave you my heart«, »Last uns froh und munter sein«, »I last my heart in San Francisco« – irgendwie so was.

Aber offenbar behauptest Du tatsächlich einfach, dass Du Spaß an der monotonen und zermürbenden Aufgabe hättest, dem Kapitalismus seine Waren über die stinkenden Autobahnen zu fahren, dabei Sonntage auf zugepissten Autohöfen zu verbringen und Dich beim Überholmanöver von Teslas und Audi A-Sonstwas anhupen zu lassen. Diese »Lust« wünschen wir Dir von ganzem Herzen, aber vermuten doch ganz stark, dass Dir der Spruch von jemandem auf den Lkw diktiert wurde, der bei der Berufswahl »Lust auf Marketing« hatte und seine Mittagspausen nicht in der Fahrerkabine, sondern beim Bagel-Laden in der Innenstadt verbringt.

Fahren an der nächsten Ausfahrt ab: Deine Leichtgewichte von Titanic

 Bitte schön, Annika Stechemesser!

Sie sind Klimaforscherin in Potsdam, wurden in der Frankfurter Rundschau am Tag nach den brisanten Landtagswahlen zum Thema »effektiver Klimaschutz« interviewt, und da wir heute auf keinen Fall Witze mit Namen machen wollen, lassen wir das einfach mal so stechen, äh, stehen!

Ganz lieb grüßt Ihre Titanic

 Gott sei dank, »Focus«!

Du schreibst: »Fleischkonsum sinkt, Mitarbeiter fehlen. Fachkräftemangel trifft die Wursttheke«. Aber sieh es doch mal positiv, lieber Focus: Es wäre doch viel schlimmer, wenn aufgrund des hohen Fleischkonsums die Mitarbeiter/innen verschwinden würden …

Grüße aus der Fleet Street schickt Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Obacht!

Die Ankündigung von Mautgebühren ist furchterregend, aber so richtig Gänsehaut bekomme ich immer erst, wenn bei Google Maps als »Warnhinweis« auftaucht: »Diese Route verläuft durch Österreich.«

Norbert Behr

 Alle meine Aversionen

Was ich überhaupt nicht schätze:
»Mädchen, ich erklär dir ...«-Sätze.

Was ich nicht so super finde:
Bluten ohne Monatsbinde.

Was ich gar nicht leiden kann:
Sex mit einem Staatstyrann.

Den Rest, auch Alkoholkonzerne,
mag ich eigentlich ganz gerne.

Ella Carina Werner

 Quo vadis, Fortschritt?

Unfassbar: Nach so vielen Jahren des Horrorfilms gruseln sich die Leute noch vor der Nosferatu-Spinne. Wann taucht in unseren Breiten endlich die Slasher- oder Zombie-Spinne auf?!

Mark-Stefan Tietze

 Mitläuferin? Ganz im Gegenteil!

Meine Oma fuhr im Widerstand Motorrad.

Andreas Maria Lugauer

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
15.10.2024 Tuttlingen, Stadthalle Hauck & Bauer und Thomas Gsella
16.10.2024 München, Volkstheater Moritz Hürtgen mit Max Kersting und Maria Muhar
16.10.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
16.10.2024 Frankfurt, Buchmesse TITANIC auf der Frankfurter Buchmesse