Humorkritik | Februar 2021

Februar 2021

Tom verfluchte sich dafür, dass er heute so takt- und humorlos gewesen war. Alles, was er mit tödlichem Ernst betrieb, ging unweigerlich daneben.
Patricia Highsmith, »Der talentierte Mr. Ripley«

Verlegenheiten

Ich kam nicht drauf, warum ich peinlicherweise komisch fand, was doch gar nicht komisch ist: einen exilierten, alkoholkranken Schriftsteller in ständiger Geldnot, von einem Hotel zum nächsten wandernd, mit knochenbrecherischem Fleiß Roman um Roman produzierend, teils den neuen beginnend, ehe der vorige noch zu Ende korrigiert ist. Mitten im bei Wallstein erschienenen Briefwechsel zwischen Joseph Roth und Stefan Zweig (»Jede Freundschaft mit mir ist verderblich«) musste ich jedenfalls unversehens lachen, als sich die multipel existentiellen Nöte Roths abermals aufgeschaukelt hatten, als wieder ein Verleger Geld schuldig blieb und der nächste sich nicht meldete und Kollegen, die Kontakte zum Film herstellten sollten, es nicht taten und der Vorschuss mal wieder weg war für die kranke Frau und die Freundin und deren Kinder und Roth von neuem »am Ende«, nämlich so am Ende wie eine Woche zuvor und drei Monate später und bis zu seinem Tod 1939. Und den Freund, literarisch und wohl auch charakterlich von so ganz anderem Zuschnitt (und also gewissermaßen die zweite Hälfte eines odd couples), immer und immer wieder anpumpen muss: »Ersehen Sie aus dem beiliegenden Brief, was mir zustößt, was nur mir zustoßen kann« (8.8.1937), dem Schöpfer des »Hiob« nämlich, sic.

Wiederholung, das lehrt etwa die Lektüre Thomas Bernhards, ist komisch, um wieviel mehr wiederholte Katastrophik, die Insistenz der (um eine Lieblingvokabel Bernhards zu verwenden) Gemeinheit, als deren Korrektiv dann irgendwann Gelächter einsetzt; wie das Komische ja auch bei Kafka in der verlässlichen Ausweglosigkeit, dem Scheitern als Existenzprinzip, ja beinah: -ideal besteht. – Vielleicht ist es aber auch viel einfacher: »… im Augenblick brauche er schnell und unheimlich dringend 200 Mark, denn er habe in den letzten vierundzwanzig Stunden nur mehr zwei Semmeln gegessen. Ich solle ihm das Geld sofort abschicken, ›zu deiner Sicherheit‹ habe er deshalb auch gleich die Geschichte von der Ziege vor Gericht für unser Fernsehspiel geschrieben und sie schon zur Post gegeben, ›das läuft‹, sozusagen auf Kommissionsbasis und als Wertpapier und in Höhe von 200 Mark, wenn ich Kloßen richtig verstanden habe. Das Wetter und die Gegend seien übrigens ›Klasse‹, jammerte Kloßen fröhlich weiter – doch ich unterbrach ihn, ihm mitzuteilen, dass ich gegenwärtig keine 200 Mark hätte. Herr Kloßen drohte nun nicht mit Selbstmord, ließ aber durchschimmern, dass dann wohl sein Schicksal besiegelt sei. Da versprach ich ihm, ich wolle mich bei Freunden und Gönnern um eine Spendenaktion für ihn einsetzen. So neu zum Leben erweckt, erwähnte Kloßen wieder einmal in hoffnungsvollem Zusammenhang die Summe von 4500 Mark.«

Wie ich’s abtippe, ist es schon wieder lustig, und womöglich ist es schlicht lächerlich, wie verzweifelt stets alles am Geld hängt; ob im Leben des großen Schriftstellers Joseph Roth oder beim gleichfalls ziemlich unvergänglichen Joachim Kloßen aus Freund Henscheids »Vollidioten«.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella