Humorkritik | Februar 2021
Februar 2021
Tom verfluchte sich dafür, dass er heute so takt- und humorlos gewesen war. Alles, was er mit tödlichem Ernst betrieb, ging unweigerlich daneben.
Patricia Highsmith, »Der talentierte Mr. Ripley«
Nachgemacht und eingemacht
Der Rezensent Alfred Kerr wird lediglich Germanisten noch ein Begriff sein, dabei war er einmal der Marcel Reich-Ranicki seiner Zeit. Höchstens seine Äußerung über die »Dreigroschenoper« wird manchmal noch zitiert: »Ein Werk Brechts, das John Gay vor zweihundert Jahren schrieb«; und ein Werk Karl Ludwig Ammers, dessen François-Villon-Übersetzung Brecht plagiierte, wie Kerr aufdeckte.
So weit, so unbekannt. Noch weniger verbreitet dürfte sein, dass der Nachmacher Brecht schon vorher von Kerr runtergemacht wurde. Beispielsweise urteilte er bereits 1926 über Brechts Schaustück »Mann ist Mann«: »Die abstruse Langweiligkeit und lärmdumpfe Leere des größeren Teils geht rädernd auf die Nerven … von Zuschauern, denen der Vorsatz zur Dürftigkeit mangelt.« Überhaupt war Kerr ein großer Polemiker und Spötter, der vor keinem Großen zurückzog: nicht vor Brecht, nicht vor dem gefeierten Theaterregisseur Max Reinhardt, der Ibsens »Hedda Gabler« vermurkst hatte – »Hier wagt eine stümprige Regie, für zwanzig Mark in völliger Impotenz einen Dichter zu verhunzen, ein Werk zu schlachten« –, und nicht vor Schillers »Fiesco von Genua«: »So kindlich die Charakteristik; alles so ganz undifferenziert … Schiller, es geht nicht.« Er erledigte Hofmannsthals Libretto »Ariadne auf Naxos« (ein Wort nur: »grauenvoll«), ging nicht vor Shakespeares »Hamlet« in die Knie (der »infolge von Rapierverwechslung stirbt, die Königin infolge von Gläserverwechslung«) und kuschte schon gar nicht vor Thomas Mann: Der »ist ein feines, etwas dünnes Seelchen, dessen Wurzel ihre stille Wohnung im Sitzfleisch hat«.
Wie gesagt, Kerr war der Reich-Ranicki der Kaiserzeit und Weimarer Republik, nur viel lustiger. Deshalb liebte er auch Wortspiele: Sophokles’ Titelhelden bespöttelte er als »Blödipus«, »Hamletteratur« war ihm zuwider, und Brechts nach der »Dreigroschenoper« flott fabriziertes Stück »Happy End« bewitzelte er als »Happy entlehnt«. Woher der Hans Mentz das alles weiß? Weil er Alfred Kerrs »Theaterkritiken« gelesen hat, ein einst bei Reclam erschienenes Bändchen. Und zuvor durch Marcel Reich-Ranickis Buch über »Die Anwälte der Literatur« auf die Spur gebracht worden war. Tja, auch Reich-Ranicki ist zu was gut!