Humorkritik | Mai 2020

Mai 2020

Das Lächeln lässt eine Vielzahl von Bedeutungen zu. Man kann alles mit einem Lächeln ausdrücken, ausgenommen vielleicht den Zorn; aber vom Unwillen über die Verachtung bis zur Liebe kann das Lächeln alle Affekte der Seele darstellen. Ein Gesicht ist in der Tat eine wunderbare Tastatur.
Sully Prudhomme

96 % nice

Die jungen, urbanen, kreativen Menschen in Leif Randts Millennial-Roman »Allegro Pastell« (Kiepenheuer & Witsch), den der Verlagstext als »Germany’s Next Lovestory« apostrophiert, haben einen Primärberuf, eine gute Zeit, sind positiv gestimmt, halten den biologistischen Blick für nicht zielführend und die Fähigkeit, ergebnisoffene Geschichten zu schreiben, für extrem charmant; unterhalten sich intensiv, agieren Sympathien aus, nehmen sich vor, mit Teddy oder Liam zu bonden, finden Webseiten nice, werden manchmal horny, haben gewisse, aber letztlich nicht zwingende Sehnsüchte; finden die Gegenwart ziemlich in Ordnung, sind extrem zufrieden und im Endeffekt entspannt, haben selten gelitten, bewahren stets ihre Stabilität und haben eine Ästhetik der Ruhe und Ausgewogenheit kultiviert; gehen feiern, schaufeln sich Partyzeit frei, sind auch als junge Dads motiviert auszugehen; finden Dinge mehr als nachvollziehbar, zu 100 % oder 96 % nice, spenden sich in Zeitfenstern Trost, performen stärker als früher, treffen sich weltweit an gefühlt immer ähnlicheren Orten, sind mit Fleischgerichten okay, haben Eiscreme-Optionen oder auch einen Crush; finden sich durchaus emotionalisiert, empfinden Beziehungen als Arbeit oder superboring, haben panische Angst, definitiver zusammenzukommen, reproduzieren alte Gedanken, zu denen ihnen die direkte Emotion fehlt, sind diffus sauer und finden es beim Sex nicht zwingend, aufs Bett zu wechseln; finden optimale Orte für Silvester, bouncen wie Flummis durch ihr Life, machen Kontakte und mingeln auf Partys, reagieren intensiv auf Inputs und wünschen sich »eine globale Diktatur westlicher Wissenschaft, regional repräsentiert von Frauen, die viele Sprachen beherrschten und auf eine mütterliche Weise sympathisch aussahen«.

Dass etwa die »Süddeutsche« hier nichts »platt Satirisches« erkennen wollte, soll man ihr nicht vorwerfen, denn das ist tatsächlich der Clou: dass der Erzähler so gut wie keine Anstalten macht, sich bzw. seine Erzählung zu erklären, die sich vollständig aus dem Vokabular der Apparate (in weitester Bedeutung) zusammensetzt. Noch der Kniff, alle direkte Rede kursiv zu setzen – »›Das klingt so future‹, sagte Fred. ›Voll‹, sagte Tanja« – lässt sich nicht einfach als Distanzmarker buchen, eben weil es durchgehalten ist und genauso gut das luftdicht ironische Bewusstsein junger Avancierter bedeuten kann; oder überhaupt nichts. Sätze wie »Aber denkbar war ja sowieso immer alles, solange man genussfähig blieb« sind in einer derart geschlossenen Welt, wie Randt sie, natürlich, kreiert, nicht »hölzern« (Deutschlandfunk), sondern ganz unheimlich eigentlich, und noch das arglose »Freundinnen und Freunde« wird zum Hinweis auf »Verdinglichung und Normierung« (Adorno).

So habe ich irgendwann zu lachen begonnen, weil der Strom an bewirtschafteter Sprache nicht abriss, und rätselte zugleich, ob ich hier was nicht mitgekriegt hatte, nämlich den totalen Triumph dessen, was Marcuse den Eindimensionalen Menschen genannt hat: »Das Glückliche Bewusstsein – der Glaube, dass das Wirkliche vernünftig ist und das System die Güter liefert – reflektiert den neuen Konformismus, der eine Facette der in gesellschaftliches Verhalten übersetzten technologischen Rationalität ist.« So gut gelingt dem Erzähler die Übersetzung, dass es ihm unheimlich wird, und er schiebt, Krachts »Faserland« eingedenk, seinen allzeit durchblickenden Hauptfiguren einen derart (wie diese sagen würden) krassen Bildungsfehler unter, dass man es als Entlastungssignal lesen muss.

»Nie nach Berlin gezogen zu sein fühlte sich für Jerome an, wie nie auf Facebook gewesen zu sein. Beide Entscheidungen hatten ihm Vergleichsdruck und narzisstische Kränkungen erspart, ihn vielleicht aber auch zu einem weniger akkuraten Zeitzeugen gemacht.« Einen solchen dürfen wir getrost in Randt erkennen, dessen Roman vielleicht leicht zu lang, aber ästhetisch derart plausibel ist, dass ich nicht der einzige sein sollte, der sich da ziemlich alt vorkommt; und dass »Allegro Pastell«, wie die SZ glaubt, sich von seinen Pop-Vorgängern dadurch unterscheide, nicht Opposition zu sein, es stimmt ja nicht.

Oder immerhin vielleicht nicht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner