Humorkritik | Mai 2020

Mai 2020

Das Lächeln lässt eine Vielzahl von Bedeutungen zu. Man kann alles mit einem Lächeln ausdrücken, ausgenommen vielleicht den Zorn; aber vom Unwillen über die Verachtung bis zur Liebe kann das Lächeln alle Affekte der Seele darstellen. Ein Gesicht ist in der Tat eine wunderbare Tastatur.
Sully Prudhomme

Super-Tschudi

Manches Buch braucht einen Gebrauchsanweiser. Das bin natürlich ich. Das Buch heißt »Tschudi« (Rowohlt), geschrieben hat es Mariam Kühsel-Hussaini, und man kann es so ernst nehmen, wie es die durchweg begeisterte deutsche Literaturkritik getan hat; man kann’s aber auch wie einen Comic ohne Bilder lesen, was ich getan habe. Dann wird »Tschudi« nämlich erst recht unterhaltsam.

Es geht zwar nicht um die Rettung der Welt vor Außerirdischen, sondern nur um die Durchsetzung der französischen Impressionisten in der Berliner Nationalgalerie um 1900, doch ansonsten ist das Setting spitze. Der Superheld Tschudi, Hugo von, ist nämlich Direktor dieses Museums und wird uns als ein Mann präsentiert, dem eigentlich niemand widerstehen kann: Männer und Frauen verfallen seiner Ausstrahlung gleichermaßen. Und manchmal trägt Tschudi, den eine arge Hautkrankheit plagt, sogar eine Maske, wie es sich für Superhelden eben so gehört.

Sein Gegenspieler ist kein Geringerer als Kaiser Wilhelm II., ein Superbösewicht, der schon seines verkrüppelten Ärmchens wegen Supertschudi, dessen makelloser Männerschönheit auch die erwähnte Hautkrankheit nichts anhaben kann, beneidet und bekämpft. Der eine trägt Pickel im Gesicht, der andere auf der Haube: Super. Beide haben Assistenten, Gehilfen oder Sidekicks, meist welche aus Künstlerkreisen: Den Kaiser unterstützt der antiquierte Historienmaler Anton von Werner, Supertschudi hat seinen prominentesten Fürsprecher im progressiven Max Liebermann, der zudem durch seine Versuche, den Berliner Schnauzenton zu treffen, für Heiterkeit sorgt. Prominenz gibt es dazu im Dutzend billiger, vom Superkanzler von Bülow über den Superdoktor Virchow bis zur Superwitwe Cosima Wagner. Heraus ragt natürlich der uralte Zwerg Menzel, der als einziger noch gar nicht mitbekommen hat, wie genial er ist.

Reine Comicsprache benutzt Mariam Kühsel-Hussaini selten, und einige ihrer Dialoge passen kaum in Sprechblasen. Doch gerade wenn die vielen Maler miteinander reden, kommt man sich belehrt vor wie bei Asterix – so haben Maler untereinander noch nie parliert, das überlassen sie den Kunsthistorikern. Die comictypische Lautmalerei – uff, spotz, hüstel, wrrrumms – ersetzt Kühsel-Hussaini durch Adjektivhäufungen.

Alles könnte so schön sein, wäre da nicht das bittere Ende: Supertschudi unterliegt letztlich dem Superschurken, und der wird bald darauf den Ersten Weltkrieg anfangen. Aber ich finde, so ein moderner No-Picture-Comic braucht kein Happy End.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg