Humorkritik | Mai 2020
Mai 2020
Das Lächeln lässt eine Vielzahl von Bedeutungen zu. Man kann alles mit einem Lächeln ausdrücken, ausgenommen vielleicht den Zorn; aber vom Unwillen über die Verachtung bis zur Liebe kann das Lächeln alle Affekte der Seele darstellen. Ein Gesicht ist in der Tat eine wunderbare Tastatur.
Sully Prudhomme
Droste und Nachwelt
Manche Bücher wären doppelt so gut, wenn sie halb so dick wären. »Tisch und Bett«, Wiglaf Drostes nachgelassener Lyrikband (erschienen bei Kunstmann), ist mit 255 Seiten doppelt so umfangreich wie der Vorgängerband »Wasabi dir nur getan« und hat immerhin 100 Seiten mehr als Drostes erstes Gedichtbuch »Nutzt gar nichts, es ist Liebe«. Nun haben schon die Großpoeten Goethe, Heine oder Wilhelm Busch bewiesen, dass die wenigsten Gedichte ewig haltbar sind, und ein Lyriker darf sich, wenn er tot ist, glücklich schätzen, wenn von abertausend Versen ein paar die Zeiten überdauern.
Die schiere Masse ist dafür vielleicht Voraussetzung und spricht nicht gegen den Dichter. Aber Unstimmigkeit spricht gegen ihn, wie in Drostes Zweizeiler »Discounter« aus seiner Reihe der »Bilden Sie mal einen Satz mit«-Reime: »Das Leben? Meistens ist’s ein Drüber und Drunter. / Die Jugend, sagt man, gehe in der Disco unter.« Sagt »man« das? Nein, Droste. Der auch sagt: »Ligurien und Liturgien / sind nahezu anagrammatisch. / Das ›t‹ verhindert solche Blasphemien, / sonst wäre die Sache dramatisch.« Der Reim passt, aber der Rest wackelt und hat Luft – und sind es denn wirklich »Blasphemien«?
Kandidaten für poetische Langlebigkeit aber gibt es bei Droste, der im Mai 2019 mit nur 57 Jahren starb, schon auch. Vielleicht ein vordergründig alberner Merkvers wie der über den »Hingang der Welt«: »Gläubischchrist und Gläubischarab / Führn die Welt ins Massengrahab.« (Richtig bemerkt, Käpt’n Ahabs Hingang lässt grüßen.) Oder, zum Auswendiglernen für den politisch wachsamen Zeitgenossen, das volkstümlich schlichte Epigramm über die »Bürgernähe«: »Wir sind jetzt noch näher / am Bürger! / Frohlocken die Späher / und Würger.« Oder doch dieses Programmgedicht: »Natur ist normative Kraft, Gewalt und Schönheit, Königin des Faktischen. / Kultur ist Arbeit an der vorgefundnen Welt und sie bedarf des Praktischen. / Als Gott den Menschen schuf, gab er ihm eine Formel mit auf seinen Weg, er sprach sie leise: / Natur bist du und auch Kultur, nun mische beides, und mische weise.«
Ein bisschen weise ist auch der Dichter Droste in seinen verhältnismäßig späten Jahren geworden, aber das reimt sich bei ihm nie auf Altersmeise. Seine Weise ist vielmehr die Weisung, die »Welt im Auge« zu behalten: »Behalten wir’s im Auge, / dass die Welt was tauge, / dass aus der schönen, alten Erde, / womöglich, einmal eine werde.«
Was also könnte von Wiglaf Drostes abertausend politischen, lebenslustigen und philosophischen Versen bleiben? Die Frage geht an Sie!