Humorkritik | März 2019

März 2019

Unlängst in Zeitungs Kulturtheil
Las ich ein slowenisches Gedicht
Des Kollegen Slowo Wenja
(Alle beide kannte ich nicht)

Das Gedicht war keins über die Flora
Und auch die Fauna kam kaum drin vor
Und es paßte weder ins tragische
Noch ins Humorressort

Horst Tomayer

Große Kaufbefehlsverordnung

… anders als Horst Tomayer selbst, der, um ans diesmonatige Motto anzuschließen, ins Humorressort passt wie eine 1 plus. Genau fünf Jahre nach dem Tod des radelnden Poeten und »Konkret«-Kolumnisten sowie 80 Jahre nach seiner in Böhmen stattgehabten Geburt hat der »Konkret«-Verlag Tomayers »German Poems« wiederaufgelegt, einen Band, der in seinem grimmig-fröhlichen Kurzschließen des Aktuellen mit dem Ewiglichen, in seiner ungezwungenen Multilingualität und orthographischen Lässigkeit den heutigen Twitter-Poeten schon anno Snow zeigte, wo der Pegasus den Most holt: »Tausend menschliche Marotten (Folge 537: Das Gummibärchenfressen): Sometimes, wenn ich ihnen zusehe, wie sie den von der Gummibärchenfabrik kindisch bedruckten Cellobeutel aufreißen und sich vollstopfen wie in Trance, da werde ich raasend; dann hinwiedrum gibt es Zeiten, da bin ich identisch mit auf Stelle tretender Trauer / Und ich schöpf aus tiefstem Grunde meines Seelenbrunnens Mitleid mit die Gummibärchenkauer«; und was heute »Rant« heißt, ist bei Tomayer poetisches Blutgericht (»du Dreck des Drecks, vor dem der Dreck vor Schreck die Augen schließt«, in: »Tomayers Kleine Fahrraddiebhalsgerichtsordnung«) und lässt sich von keiner 280-Zeichen-Beschränkung einhegen. Alle Unerbittlichkeit aber, ob gegen Fahrraddiebe oder amselfressenwollende Katzen (»Doch ich kann dies nicht dulden / I hoi mei Luftdruckgwahr / Und brenn der Katz oans über / Sodaß sich sträubt ihr Haar // Denn wer da an Gesang hot / Und net bloß scheißt und frißt / Dem bin i Freind und Helfer / I – der Amselleibgardist«) täuscht nicht über Tomayers prinzipiellen Anti-Zynismus hinweg, etwa wenn er Harald Schmidt etwas hinter die Ohren schreibt oder im Kino den ungerührten, von jeglichem Filmschmerz kaltgelassenen Zuschauern (»Die fläzen wie Kaiser Nero / Als Rom brannte im Gestühl / Und entwickeln Salzletten malmend / Nicht das Jota von Mitgefühl«) zuruft: »Schluß jetzt damit ihr Schweine / Los jetzt wird mitgeweint«.

Vielleicht ist Horst Tomayer deswegen so gut, weil sein Pathos mindestens zu 85 Prozent echt und ernst ist: Die Witze, mit denen er sich immer wieder selbst ins Wort fällt, nehmen seiner Zornwucht gar nichts, sind eher so etwas wie die zweite Luft beim Höllenritt auf dem Stevens-Bike. Bis es wieder Zeit ist für eine Pause im Biergarten: »Unterm Baldachin der Kastanien / Der Maßkrug klingt nah und fern / Diskurieren gmüatliche Münchner / Wia d’ Dopedealer hi gmacht ghörn // Oana moant i daads daschiaßn / Der andre is mehr für den Strick / Koa oanziger is fürs Vergasen / Mei ham de Dopedealer Glück.« Mei ham wir Glück, wenn wir das lesen dürfen und anschauen (Zeichnungen: Ernst Kahl). Kenner dieser Rubrik müssen nicht daran erinnert werden; allen Jüngeren sei Tomayer brennend nachempfohlen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Huhu, hessische FDP!

Zunächst hatten wir es ja auf das Unwissen des jungen Kandidaten bei uns im Viertel geschoben, aber spätestens zur Septembermitte dann verstanden, dass Dein eminenter Powerslogan für die gesamte hessische Landtagswahl tatsächlich »Feuer und Flamme für Hessen« lautet. Anschließend hatten wir gedacht, Ihr wärt vielleicht allesamt zu dumm oder unbelesen, um zu wissen, dass »Feuer und Flamme für diesen Staat« seit den frühen achtziger Jahren ein beliebter Schlachtruf von Linksradikalen und Autonomen war, gerade in Hessen, wo die Kämpfe um die Startbahn West blutig eskalierten.

Aber Du, FDP, hast den Slogan gewiss mit Bedacht und einem kräftigen Augenzwinkern gewählt, denn Du besitzt ja auch einen anarcho-libertären Flügel, der jede staatliche Ordnung abschaffen und alle Belange vom Markt regeln lassen will, also vom Gesetz des Stärkeren.

Und dass Du diese gewaltversessenen Hooligans zur Wahl noch mal vor unseren inneren Augen durch die Straßen Frankfurts marodieren lässt, dafür danken Dir die gesetzlosen Chaot/innen von der Titanic

 Ob das eine gute Idee ist, British Telecommunications?

Als einer von Großbritanniens größten Kommunikationsdienstleistern betreibst Du unter anderem die berühmten roten Telefonzellen, die allerdings außer für Lösegeldforderungen und Rauschmitteldeals keinem Zweck mehr dienen. Darum hast Du nun angekündigt, die pittoresken Blickfänger für einen symbolischen Betrag den britischen Kommunen zu verkaufen, damit diese einen neuen Verwendungszweck für sie finden. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis wir lesen werden, dass die Tories die erste Telefonzelle in eine Mehrbettunterkunft für Geflüchtete umgewandelt haben.

Orakeln Deine politischen Hellseher/innen von Titanic

 Erinnerst Du Dich, Adobe,

an das Titelbild unserer letzten Ausgabe? Wir nämlich schon, und da fragen wir uns glatt, ob Du neuerdings die Betreffzeilen für Deine Werberundmails ungeprüft vom Digitalisierungs-Ausschuss der AfD übernimmst!

Nichts für ungut. Titanic

 Haha, Daniel Günther!

Haha, Daniel Günther!

Sie haben tatsächlich im Juni dieses Jahres auf der Kieler Woche »Layla« mitgegrölt? Auf der Bühne euphorisch »Schöner, jünger, geiler!« ins Mikro gejohlt? Also unsereins hat ja schon eine lange Leitung, wenn uns das bis jetzt entgangen ist. Aber mit einer solchen Verzögerung und mit beiden Beinen ins Vorjahres-Fettnäpfchen zu springen, da können wir nicht mithalten – Chapeau!

Rechnen mit einer Reaktion in zwei bis drei Werkjahren:

Ihre Puffmütter von Titanic

 Grüß Dich, Stachelbeere!

Von Dir dachten wir bisher, wir wüssten einigermaßen Bescheid. Keine Ahnung hatten wir! Bis wir die NZZ in die Hände bekamen: »Die Stachelbeere galt lange als spießigste aller Sommerbeeren.« Wie konnte das an uns vorbeigehen? »Im Gegensatz zu ihrem Namen tut ihr Stachel gar nicht weh.« Toll, Du bist die erste Beere der Naturgeschichte, deren Name wehtut. »Stachelbeeren werden geputzt, indem der Stiel und die Blütenenden mit einer Küchenschere abgeschnitten und dann kurz mit Wasser abgebraust werden.« Dann sind zwar Stiel und Blütenenden nass, aber wie wirst Du davon sauber? »Der Gaumen erinnert sich beim Verspeisen an einen süßen Sirup, der als Kind besonders gut geschmeckt hat.« Außer, der Gaumen ist etwas zerstreut und hat vergessen, dass der Sirup mal ein Kind war.

»Stachelbeeren haben einen schönen Knack.« Wir aber haben jetzt einen schönen Knacks, Stachelbeere, nämlich einen Stachelbeeren-Knacks, und rühren Dich bizarres Früchtchen auf keinen Fall mehr an. Oder zumindest nicht die NZZ-Kulinarikseiten. Die machen nämlich Sodbrennen.

Stichelt gern: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Rentner mit Humor

Ich bin im Bus für einen deutlich Jüngeren aufgestanden.

Uwe Becker

 After-Life-Hack

Auf meinem Organspendeausweis ist vermerkt, dass ich posthum nur ausgeschlachtet werden darf, wenn mein Ableben, egal wie mysteriös, blutrünstig, effektvoll, erheiternd, generationenkonfliktelösend, krebsheilend oder die messianische Zeit einläutend es auch stattgefunden haben werden mag, niemals in einem True-Crime-Podcast vorkommen darf.

Sebastian Maschuw

 Verödungsalarm

Deutliches Zeichen dafür, dass ein Ort langsam stirbt: Wenn im kommunalen Veranstaltungskalender eine Blutspende-Aktion unter »Events« angekündigt wird.

Jürgen Miedl

 In between lifestyles

Silberner BMW, quer über die Heckscheibe der Schriftzug »Moskovskaya«, vorn auf der Ablage: Anwohner-Parkausweis Nr. 05.

Frank Jakubzik

 Präzision

Fine-Dining-Restaurants schließen nicht, sie fermétieren.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
08.10.2023 Frankfurt, Elfer Hauck & Bauer mit Julia Mateus
08.10.2023 Berlin, BAIZ Katharina Greve
10.10.2023 Cuxhaven, Ringelnatz-Museum Thomas Gsella
10.10.2023 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview«