Humorkritik | Januar 2019

Januar 2019

»Es hat sich gewiss schon jedem Freund komischer und naiver Poesie die Betrachtung aufgedrängt, dass die moderne deutsche Literatur, doch sonst nach den verschiedensten Richtungen entwickelt, kaum einen Dichter aufweisen kann, dem man jene Prädikate, besonders aber das des Hochkomischen, uneingeschränkt zuschreiben könnte.«
Moritz Rapp, »Morgenblatt für gebildete Stände«, 1830

The Life of Eric

So viel ist schon über Monty Python geschrieben, gesagt und gesendet worden, u.a. gerade eben von mir, dass man Eric Idle für das dankbar sein muss, was er in seinen gerade erschienenen Memoiren »Always Look on the Bright Side of Life: A Sortabiography« (W&N, auf deutsch: Hannibal) alles weggelassen hat: nämlich die in den meisten Erinnerungsbüchern langweiligste, bedeutungsloseste, ereignisärmste aller Lebensphasen, die Kindheit. Dabei ist die von Idle sogar eine für Comedians obligatorisch schwere: Er verliert den Vater mit zwei Jahren, als der an Weihnachten 1945 auf dem Heimweg aus dem Krieg bei einem Verkehrsunfall das Leben lässt, die Mutter zieht sich in eine Depression zurück und gibt Eric ins Heim, das er erst mit 19 wieder verlässt. Ein englisches Kinderheim in den Fünfzigern, das bedeutete Frieren und Prügelstrafe – und lebenslangen Hunger nach Wärme, Anerkennung und Narreteien. Immerhin lernt Eric Gitarre zu spielen: »At fourteen I wanted to play guitar very badly. By fifteen I did.«

Schon auf Seite 25 und im Jahre 1964, während des Studiums, sind alle Pythons (bis auf den amerikanischen) versammelt. Und die Analyse ihres Erfolgs fällt bei Idle angenehm bescheiden aus: So anders seien sie nun auch nicht gewesen als andere Comedy Acts, aber divers, denn durch ihre Verschiedenartigkeit sei für jeden Zuschauer etwas dabei gewesen – von Slapstick bis Wortwitz. Sie hätten das Glück gehabt, just an der Schwelle zur farbigen TV-Aufnahme zu stehen, was ihr Material bis heute jung erscheinen lasse. Sie hätten das abermalige Glück gehabt, große Freiheiten bei der BBC zu genießen, und einen klugen Manager gehabt, dank dessen Beratung sie im Besitz aller Rechte an ihrem eigenen Material seien. Und natürlich spielten die sechziger Jahre selbst eine Rolle, die Jahre, in denen das moderne Großbritannien und seine Popkultur entstanden sind und die Eric Idle für sich persönlich bis in die Neunziger hinein verlängerte.

»I have met many people in my life and, sadly, many of them were not famous«, bedauert sich Idle zwischendurch. Aus seiner Freundschaft zu George Harrison und David Bowie sind die unterhaltsamsten Anekdoten überliefert; Mick Jagger und Paul Simon spielen sich, ein Freundschaftsdienst, in den »Rutles« nicht zufällig selbst. Zum Abendessen auf dem schottischen Anwesen des Großkomikers Billy Connolly schneit auch mal royaler Besuch herein, und später, in den USA, zählen Steve Martin, Chevy Chase und vor allem Robin Williams zu Idles besten Freunden. »That’s name-dropping at its finest, as I said to Prince Charles the other day«, aber auch darin findet Idle einen Ton, der seine Erinnerungen nicht unangenehm eitel erscheinen lässt.

Vielleicht auch, weil es regelmäßig um das Ableben geht, zunächst das von Graham Chapman, später das von George Harrison, der erst einen Kampf auf Leben und Tod im eigenen Haus gegen einen Einbrecher bestehen muss, bevor er wenige Monate später dem Krebs erliegt. Ihm folgen Robin Williams, Garry Shandling, Carrie Fisher. Idles wertvollstes Erbstück, der titelgebende Song aus dem »Leben des Brian«, ist seit 2009 auf Platz eins der Charts für Beerdigungssongs im Vereinigten Königreich. Man muss die Briten, so Idle, dafür lieben: nicht nur, dass sie bis ins Grab hinein ihren Sinn für Humor bewahren, sondern auch dafür, dass es überhaupt Charts für Begräbnislieder gibt.

Was aber ist aus dem Leben des Eric zu lernen? »Well, firstly, that there are two kinds of people, and I don’t much care for either of them. Secondly, when faced with a difficult choice, either way is often best. Thirdly, always leave a party when people begin to play the bongos.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gesundheit, Thomas Gottschalk!

In Ihrem Podcast »Die Supernasen« echauffierten Sie sich mit einem fast schon dialektischen Satz zu Ihrer eigenen Arbeitsmoral über die vermeintlich arbeitsscheuen jungen Leute: »Es gab für mich nie eine Frage – ich war nie in meinem Leben krank, wenn ich im Radio oder im Fernsehen aufgetreten bin. Ich habe oft mit Schniefnase irgendwas erzählt.«

Das hat bei uns zu einigen Anschlussfragen geführt: Wenn Sie »nicht krank«, aber mit Schniefnase und im Wick-Medinait-Delirium vor einem Millionenpublikum zusammenhanglose Wortfetzen aneinandergereiht haben – war das nicht eine viel dreistere, weil höher bezahlte Form der Arbeitsverweigerung als eine Krankmeldung?

Wünscht Ihnen nachträglich gute Besserung: Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Also echt, Hollywood-Schauspieler Kevin Bacon!

»Wie wäre es eigentlich, wenn mich niemand kennen würde?« Unter diesem Motto verbrachten Sie mit falschen Zähnen, künstlicher Nase und fingerdicken Brillengläsern einen Tag in einem Einkaufszentrum nahe Los Angeles, um Ihre Erfahrungen als Nobody anschließend in der Vanity Fair breitzutreten.

Die Leute hätten sich einfach an Ihnen vorbeigedrängelt, und niemand habe »Ich liebe Dich!« zu Ihnen gesagt. Als Sie dann auch noch in der Schlange stehen mussten, um »einen verdammten Kaffee zu kaufen«, sei Ihnen schlagartig bewusst geworden: »Das ist scheiße. Ich will wieder berühmt sein.«

Das ist doch mal eine Erkenntnis, Bacon! Aber war der Grund für Ihre Aktion am Ende nicht doch ein anderer? Hatten Sie vielleicht einfach nur Angst, in die Mall zu gehen und als vermeintlicher Superstar von völlig gleichgültigen Kalifornier/innen nicht erkannt zu werden?

Fand Sie nicht umsonst in »Unsichtbare Gefahr« am besten: Titanic

 Cafe Extrablatt (Bockenheimer Warte, Frankfurt)!

»… von früh bis Bier!« bewirbst Du auf zwei großflächigen Fassadentafeln einen Besuch in Deinen nahe unserer Redaktion gelegenen Gasträumlichkeiten. Geöffnet hast Du unter der Woche zwischen 8:00 und 0:00 bzw. 01:00 (freitags) Uhr. Bier allerdings wird – so interpretieren wir Deinen Slogan – bei Dir erst spät, äh, was denn überhaupt: angeboten, ausgeschenkt? Und was verstehst Du eigentlich unter spät? Spät in der Nacht, spät am Abend, am Spätnachmittag oder spätmorgens? Müssen wir bei Dir in der Früh (zur Frühschicht, am frühen Mittag, vor vier?) gar auf ein Bier verzichten?

Jetzt können wir in der Redaktion von früh bis Bier an nichts anderes mehr denken. Aber zum Glück gibt es ja die Flaschenpost!

Prost! Titanic

 Grüß Gott, Markus Söder!

Weil der bayerische AfD-Chef Sie wiederholt »Södolf« genannt hat und Sie ihn daraufhin anzeigten, muss dieser Ihnen nun 12 000 Euro wegen Beleidigung zahlen. Genau genommen muss er den Betrag an den Freistaat Bayern überweisen, was aber wiederum Ihnen zugutekommt. Ebenjener zahlt Ihnen ja die Honorare für freie Fotograf/innen, von denen Sie sich bei öffentlichen Anlässen gern begleiten und ablichten lassen. Im Jahr 2022 sollen sich die Kosten auf stolze 180 000 Euro belaufen haben.

Vorschlag: Wenn es Ihnen gelingt, die Prasserei für Ihr Image komplett durch Klagen gegen AfD-Mitglieder querzufinanzieren, stoßen wir uns weniger an Ihrem lockeren Umgang mit öffentlichen Geldern.

Drückt vorauseilend schon mal beide Augen zu: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster