Humorkritik | Januar 2019

Januar 2019

»Es hat sich gewiss schon jedem Freund komischer und naiver Poesie die Betrachtung aufgedrängt, dass die moderne deutsche Literatur, doch sonst nach den verschiedensten Richtungen entwickelt, kaum einen Dichter aufweisen kann, dem man jene Prädikate, besonders aber das des Hochkomischen, uneingeschränkt zuschreiben könnte.«
Moritz Rapp, »Morgenblatt für gebildete Stände«, 1830

Seltsame Doubletten III

Die große »komische Alte« in der russischen Literatur ist nicht Swetlana Geier, sondern, wenn man mich fragt, entweder die 87jährige Großmutter Gräfin Anna Fedotowna aus Puschkins »Pique Dame« oder aber die 75jährige Großtante Antonida Wassiljewna Terassewitschewa aus Dostojewskis »Spieler«. Genaueres Hinsehen lässt vermuten, dass beide Damen wenn nicht identisch, so doch zumindest verwandt sind. Den zeitlichen Abstand zwischen den beiden Werken (1834/1867) berücksichtigend, könnte die alte Terassewitschewa eine Nichte der noch älteren Fedotowna gewesen sein; dafür spricht nicht nur beider Neigung zum Glücksspiel, sondern auch die ihnen gemeinsame Gewohnheit, ihre jeweilige junge Begleiterin während der Fahrt durch St. Petersburg (Fedotowna) oder Roulettenburg (Terassewitschewa) zu löchern: »Die Gräfin hatte die Gewohnheit, unterwegs fortwährend Fragen zu stellen: ›Wer ist uns begegnet?‹ – ›Wie heißt diese Brücke?‹ – ›Was steht dort auf dem Plakat?‹ – Lisaweta Iwanowna gab diesmal lauter konfuse Antworten, und die Gräfin war sehr ungehalten.« Kein Wunder bei solchen Fragen – zumal Puschkins Alte knapp vor der Ausfahrt, die Konfusion begründend, »einen neuen Roman« zu lesen begehrt hatte, »aber um Gottes willen keinen von den ganz neuen«.

Dostojewskis Großtante, wiewohl an Jahren jünger, übertrifft im Irrsinn ihrer aus dem Rollstuhl geäußerten Fragen noch die kutschenfahrende Gräfin: »Paulette dagegen war genötigt, auf die fortwährenden und zahllosen Fragen der Großtante zu antworten, in der Art wie: ›Wer war das, der eben vorüberging? Wer ist diese, die da vorüberfährt? Ist die Stadt groß? Ist der Park groß? Was für Bäume sind das? Was sind das für Berge? Gibt es hier Adler? [!] Was ist das für ein komisches Dach?‹« Ich möchte diese Fragen sowie den gesamten Doppelfall Fedotowna / Terassewitschewa hiermit an die Komparatisten weiterreichen.

Überhaupt keine Doubletten erkenne ich dagegen bei Karl Valentin und Andreas Gabalier. Da geht es mir anders als den Verleihern des Karl-Valentin-Ordens, die diesen ja auch schon an Til Schweiger, Heino, Papa Ratzinger und praktisch jeden einzelnen CSU-Vorsitzenden vergeben haben und nun im Werk ausgerechnet des Klartext-Trottels Gabalier ein »Loblied auf das Andersdenken« im Valentinschen Sinne herauszuhören vermeinen. Was natürlich himmelschreiend ist. Viel eher klingt Gabalier, wenn man seine bis dato veröffentlichten Interviewzitate neu abmischt – die Musik lassen wir hier einmal aus humanitären Gründen weg –, wie ein klassischer Schwadroneur von Gerhard Polt: »Ich glaube, dass wir in einer Zeit leben, in der die Damenwelt geschätzt und gewürdigt wird und man das nicht im Jahr 2014 immer noch mitbetonen muss, dass die Frauen gleichberechtigt sind. Seit meiner Kindheit bin ich in Arielle, die Meerjungfrau verliebt! Natürlich bin ich für Gleichberechtigung. Aber dass man in unserer genderverseuchten Zeit bald auf Ideen kommt, wie man im Privatleben vielleicht noch rechtlich festlegen könnte, dass der Mann einmal die Woche den Geschirrspüler ausräumt und die Wäsche aufhängt, das geht irgendwann zu weit. Die große Masse sehnt sich nach einem Schweinsbraten …«!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Augen auf, »dpa«!

»Mehrere der Hausangestellten konnten weder Lesen noch Schreiben« – jaja, mag schon sein. Aber wenn’s die Nachrichtenagenturen auch nicht können?

Kann beides: Titanic

 Hi, Daniel Bayen!

Sie sind sehr jung und waren mit Ihrer Firma für Vintage-Klamotten namens Strike vorübergehend sehr erfolgreich. Die ist jetzt pleite, machte aber zeitweise 2,9 Millionen Euro Umsatz. Der Bedarf war so groß, dass Correctiv-Recherchen zufolge sogar massenhaft Neuware zwischen die Secondhand-Bekleidung gemischt wurde. Auch Sie räumten demnach ein, gefälschte Ware geordert zu haben. Allerdings, so behaupten Sie, nur, um Ihren »Mitarbeitern zu zeigen, wie man gefälschte Ware identifiziert und aussortiert«.

Aber Bayen, Ihre Expertise besteht doch darin, neue Sachen auf alt zu trimmen. Also versuchen Sie bitte nicht, uns solche uralten Tricks zu verkaufen!

Recycelt Witze immer nach allen Regeln der Kunst: Titanic

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

 So ist es, Franz Müntefering!

So ist es, Franz Müntefering!

Sie sind nun auch schon 84 Jahre alt und sagten zum Deutschlandfunk, Ältere wie Sie hätten noch erlebt, wozu übertriebener Nationalismus führe. Nämlich zu Bomben, Toten und Hunger. Ganz anders natürlich als nicht übertriebener Nationalismus! Der führt bekanntlich lediglich zur Einhaltung des Zweiprozentziels, zu geschlossenen Grenzen und Hunger. Ein wichtiger Unterschied!

Findet

Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster