Humorkritik | März 2018

März 2018

Lachen ist ein Heilmittel, dessen stillende Kraft man nicht sattsam ermißt.
Jeremias Gotthelf

Beethoven, keiner von den Doofen

»Klassikkampf« (Matthes & Seitz), die munter-polemische Abrechnung des E-Musik-Autors (u.a. für »Konkret«) und Konzertagenten Berthold Seliger, fällt nicht völlig in mein Fachgebiet; komische Seiten hat das Buch aber dennoch.

Seliger knöpft sich darin den Klassikbetrieb vor, das konservative Konzertpublikum und dessen weihevolles, fast religiöses Verhältnis zur Musikdarbietung: »Man weiß, daß eine Sinfonie oder eine Sonate mehrere Sätze hat, also klatscht man nicht dazwischen, so der Dünkel – und wer doch zwischen den Sätzen klatscht, zeigt nur, daß er nicht zu den Eingeweihten zählt … Um beim Vergleich mit dem Gottesdienst zu bleiben: In einer heiligen Messe klatscht man ja auch nicht nach der Predigt, dem Sanctus oder wenn die Wandlung der Hostie in den Leib Jesu mal besonders gut gelungen sein sollte.« Als exemplarischen Vertreter dieses quasi-religiösen Zugangs nennt Seliger Herbert von Karajan, dessen Hände bei Fernsehaufzeichnungen immer extra ins Licht gerückt wurden, »so, als ob der mystische Maestro Beethovens Musik gleichsam aus dem Jenseits herbeiholte«; derlei Publikumszähmung durch Pathos und Ergriffenheit war von einem revolutionär gesinnten Komponisten wie Beethoven übrigens keineswegs beabsichtigt und wurde erst von der Nachwelt betrieben, unter anderem durch Herumdoktern an seiner Musik: »Die von Beethoven vorgeschriebenen Tempi sind fast ausnahmslos sehr schnell. Schneller, als wir es in vielen Interpretationen dieser Werke zu hören bekommen. Und die Ausreden, die die Interpreten von Beethovens Werken fanden und finden, sind bemerkenswert: Einige behaupten, Beethoven habe die Skala seines Metronoms nicht genau betrachtet oder habe von schräg unten auf die Skala geblickt, so daß er die Metronomzahl falsch abgelesen habe; mit anderen Worten: Der Meister war einfach zu doof, ein Metronom zu bedienen oder abzulesen.«

Das sind hübsche Details, die Seliger da zutage fördert, und er hat es dabei nicht allein auf die konservative Musikvermittlung abgesehen, sondern auch auf die Verwertungs- und Überdummungslogik der Kulturindustrie insgesamt: Eine junge Geigerin, die Aufnahmen Johann Sebastian Bachs veröffentlicht, wird »mit erotischen Fotos (Bildunterschrift: ›Bach-Blüte‹) unter der Überschrift ›Der Bachfisch‹ vermarktet«, Anna Netrebko »nackig in der Badewanne fotografiert«, und einer wie Lang Lang bringt sogar sein eigenes Parfüm heraus: »Wer unbedingt nach Lang Lang riechen möchte, bekommt für 55 Euro 30 Milliliter des Pianistendufts.« Einer der Urväter dieser Veroberflächlichung: wiederum Karajan, bei dem »der Orchesteraufbau komplett an die Fernsehbedürfnisse angepaßt« war und die Musiker hübsch auszusehen hatten: »Bärte waren verboten, und die Kollegen, die keine oder wenig Haare hatten, mußten sich Perücken aufsetzen«.

Ob Berthold Seliger über allzu tonale Gegenwartskomponisten à la Yann Tiersen lästert (»Man kann diese regressive Musik als Neoklassik bezeichnen, als Pop- oder als Postklassik, man darf sie aber auch schlicht Quark nennen«, eine Art »immerwährende Dinner- oder Barmusik«) oder übers Publikum (»Zigtausende verfolgen verzückt, wie Alma Deutscher, der die ›Zeit‹ gleich ein ganzes Dossier widmet, recht hübsch Geige und Klavier spielt – was den sogenannten bildungsfernen Schichten die Katzenvideos, sind der bürgerlichen Mittelschicht die Wunderkind-Filmchen auf Youtube«): Es ist eine Wut, die mich erfrischt und belustigt, und so erhalte ich bei Seliger nicht nur einen Lagebericht über das unaufhaltsame Fortwallen der Kulturindustrie / Abteilung Klassik und Distinktion, sondern darf darüber auch noch lachen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Du wiederum, »Spiegel«,

bleibst in der NBA, der Basketball-Profiliga der Männer in den USA, am Ball und berichtest über die Vertragsverlängerung des Superstars LeBron James. »Neuer Lakers-Vertrag – LeBron James verzichtet offenbar auf Spitzengehalt«, vermeldest Du aufgeregt.

Entsetzt, Spiegel, müssen wir feststellen, dass unsere Vorstellung von einem guten Einkommen offenbar um einiges weiter von der Deiner Redakteur/innen entfernt ist als bislang gedacht. Andere Angebote hin oder her: 93 Millionen Euro für zwei Jahre Bällewerfen hätten wir jetzt schon unter »Spitzengehalt« eingeordnet. Reichtum ist wohl tatsächlich eine Frage der Perspektive.

Arm, aber sexy: Titanic

 Hello, Herzogin Kate!

Hello, Herzogin Kate!

Ihr erster öffentlicher Auftritt seit Bekanntmachung Ihrer Krebserkrankung wurde von der Yellow Press mit geistreichen Überschriften wie »It’s just Kate to see you again« oder »Kate to have you back« bedacht.

Und bei solchen Wortspielen darf unsereins natürlich nicht fehlen! Was halten Sie von »Das Kate uns am Arsch vorbei«, »Danach Kate kein Hahn« oder »Das interessiert uns einen feuchten Katericht«?

Wie immer genervt vom royalen Kateöse: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster