Humorkritik | November 2017

November 2017

Das Lachen verlangt Arglosigkeit, die meisten Menschen lachen aber am häufigsten boshaft.
Fjodor Dostojewski

Kunst der Verhüllung

Ende Dezember startet in den deutschen Kinos die französische Komödie »Voll verschleiert« (Originaltitel: »Cherchez la femme«). Die Regisseurin Sou Abadi erzählt in ihrem Spielfilmdebüt die Geschichte der muslimischen Studentin Leila, die mit ihrem Freund Armand vor dem Umzug von Paris nach New York steht. Doch kurz vor der Abreise kehrt Leilas Bruder Mahmoud aus dem Jemen zurück, wo er sich islamistisch radikalisiert hat: Kurzerhand verbietet er seiner Schwester die Beziehung zu Armand und zwingt sie, sich in der Öffentlichkeit zu verhüllen. Guter Rat ist Schleier: Um Leila dennoch treffen zu können, besorgt sich Armand selbst Tschador und Niqab und versucht, derart als »Freundin« verkleidet, Mahmouds Zustimmung zu gewinnen, um Leila zu treffen. Mahmoud fällt auf die Maskerade herein – verliebt sich aber zusehends selbst in die seltsame »Scheherazade«.

Erfreulich ist, daß der Film in der ersten Hälfte viele Komödienfehler vermeidet. So werden die Figuren als ernsthafte entwickelt, der islamistische, gewalttätige Bruder wirkt bedrohlich; die Regie vertraut auf die Tragfähigkeit von Setting und Story und auf die sich daraus ergebende Situationskomik. Leider treten, als Mahmoud gegenüber Scheherazade bzw. Armand immer zudringlicher wird, irgendwann dessen Eltern auf den Plan, und mit ihnen eine überflüssige Nebenhandlung: Wenn Armands Mutter, eine überdrehte Alt-68erin, dem verschleierten Sohn bei einer zufälligen Begegnung im Linienbus eine feministische Standpauke hält und die übrigen Fahrgäste »das Mädchen« motivieren wollen, doch endlich mutig genug zu sein, den Schleier abzulegen, hat das durchaus komisches Potential – leider jedoch ist insbesondere die Mutterfigur zu sehr Objekt expliziter und banaler Reflektiererei über politische Haltungen und Borniertheiten, was den Spaß an solchen Situationen deutlich schmälert. Für den nächsten Film würde ich Sou Abadi darum etwas weniger politisches Mitteilungsbedürfnis wünschen und mehr Mut und Geduld, einer Idee über die gesamte Filmlänge zu vertrauen. Denn der wie ein schwarzes Gespenst durch die Straßen und Kulissen hetzenden Scheherazade, dem immer liebeshungrigeren Verfolger Mahmoud und der trotzig aufbegehrenden Leila hätte ich bei ihrem Verwechslungsspiel gerne länger zuschauen mögen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 U sure, Jürgen Klopp?

U sure, Jürgen Klopp?

Nachdem Sie Ihren Posten beim FC Liverpool niedergelegt haben, halten Sie sich in Sachen Zukunftspläne bedeckt. Nur so viel: »Ich werde irgendwas arbeiten. Ich bin zu jung, um nur noch Padel-Tennis und Enkelkinder zu machen.«

Keine Ahnung, wie Sie sich den typischen Alltag im Ruhestand so vorstellen, Kloppo. Doch wenn Menschen fortgeschrittenen Alters Nachwuchs zeugen, heißt das Ergebnis – zumindest in den meisten Fällen – »Kinder« und nicht »Enkelkinder«.

Schwant Böses: Titanic

 Was soll das, Ameisen?

Was soll das, Ameisen?

Wie Forscher/innen herausfanden, seid Ihr in der Lage, bei Artgenossinnen Beine durch Abbeißen zu amputieren, um so tödliche Infektionen zu vermeiden. Chirurgische Eingriffe! Geht’s noch? Habt Ihr Euch mal überlegt, wie es uns damit geht? Als Spezies, die für ihren jetzigen Stand in der Medizin Jahrtausende an Forschung gebraucht hat?

Fragt pikiert die Krone der Schöpfung auf der Titanic

 Eine Frage, »Welt«-Newsletter …

Du informiertest Deine Abonnent/innen mit folgenden Worten über die Situation nach dem Hoteleinsturz in Kröv: »Bisher wurden zwei Menschen tot geborgen, weitere konnten verletzt – aber lebend – gerettet werden.« Aber wie viele Menschen wurden denn bitte verletzt, aber leider tot gerettet?

Rätselt knobelnd Titanic

 Es tut uns aufrichtig leid, Alice und Ellen Kessler (die Kessler-Zwillinge),

Es tut uns aufrichtig leid, Alice und Ellen Kessler (die Kessler-Zwillinge),

dass Ihre Kindheit, wie Sie im Bunte-Interview erzählten, von der täglichen Gewalt eines trinkenden Vaters geprägt war. Ganz überraschend kommt Ihr Geständnis vom besoffenen Prügelpapa allerdings nicht. Man hätte sich schließlich denken können, dass dieser Arsch dauernd doppelt gesehen hat.

Verdient im Gegensatz zu Ihnen für diesen Gag auf jeden Fall Schläge: Titanic

 Hello, tagesschau.de!

All Deinen Leser/innen, die von Tim Walz, der für die US-Demokraten als Vizekandidat in den Wahlkampf ziehen soll, bisher noch nicht allzu viel gehört hatten, wusstest Du doch immerhin zu berichten, er sei ein ehemaliger »Lehrer und gilt als einer, der die einfache Sprache der Menschen spricht«. Und nichts für ungut, tagesschau.de, aber dass ein Kandidat im US-Wahlkampf, ein einstiger Lehrer zudem, Englisch spricht, das haben selbst wir uns schon beinahe gedacht.

Deine einfachen Menschen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Steinzeitmythen

Fred Feuerstein hat nie im Steinbruch gearbeitet, er war Rhetoriker! Er hat vor 10 000 Jahren zum Beispiel den Whataboutism erfunden und zu seiner Losung erhoben: »Ja, aber … aber du!«

Alexander Grupe

 Ach, übrigens,

der Typ, mit dem ich in jedem Gespräch alle drei Minuten für mindestens fünf Minuten zu einem Nebenthema abschweife: Ich glaube, wir sind jetzt exkursiv miteinander.

Loreen Bauer

 Abschied

Juckeljuckeljuckel,
Das Meer liegt hinterm Buckel,
Dort vorne, da ist Dover,
Da ist die Reise over.

Gunnar Homann

 Fachmann fürs Leben

Im Gegensatz zur Schule hat man im Zivildienst viele nützliche Dinge gelernt. Zum Beispiel, dass man die Körper von Menschen, die sich selbst nicht mehr bewegen können, regelmäßig umlagert, damit keine Seite wund wird. Um anhaltenden Druck auf die Haut zu minimieren, wende ich auch heute noch die Pfirsiche in der Obstschale alle paar Stunden.

Friedrich Krautzberger

 Unwirtliche Orte …

… sind die ohne Kneipe.

Günter Flott

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

  • 27.08.: Bernd Eilert schreibt in der FAZ über den französischen Maler Marcel Bascoulard.
  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

  • 29.01.:

    Ein Nachruf auf Anna Poth von Christian Y. Schmidt im ND.

Titanic unterwegs
18.09.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
18.09.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.09.2024 Berlin, Kulturstall auf dem Gutshof Britz Katharina Greve
19.09.2024 Hamburg, Centralkomitee Hauck & Bauer