Humorkritik | August 2017
August 2017
Die Erhabenheit ist einfach bekömmlicher, wenn man ihr eine Prise Quatsch beimischt.
Hermann Schlösser

Schwarze Milch der Kühe
Wichtigstes Stilprinzip des Morchel-, Amsel- und Gebrauchsgegenstandbesingers und neuen Büchnerpreisträgers Jan Wagner sind das elegant-ironische Sich-selbst-und-die-Welt-nicht-so-ernst-Nehmen sowie das An-der-Belanglosigkeit-Entlangschreiben; alles in Kleinbuchstaben natürlich, man will ja nicht biedermeierlicher rüberkommen, als der Inhalt (hier aus den »Regentonnenvariationen«) nahelegt: »versuch über seife«: »mondloser abend, duftende hände«; »koalas«: »zerzauste stoiker, verlauste buddhas … mit ihren watte- / ohren gegen lockungen gefeit … die miene eines radrennfahrers«. Das ist zwar manchmal hübsch, wird aber oft auch übertrieben: »versuch über servietten«: »mit dem stolz von viermastern / über die tische kreuzend … ein letztes licht … brennt sich / als soßenfleck in ihr weiß«. Oder: »requiem für einen friseur«: »wer ließe finger kneten, kreisen, bis die wolke / des shampoos aufzieht über uns … / wer wirft die große orgel / aus fönen an und läßt sie brausen, läßt sie schwellen?«. Ja, wer eigentlich?
Wagners preisbekränzte Lyrik enthält auch allerlei Enjambementmassaker (»porös- / en kuhfladen«; »hage- / butten- / hecke«), aufgeblähte Meta-Säuselei (»ein text, fast ganz befreit von den vokalen«; »als hätten sich alle buchstaben / auf einmal aus der zeitung gelöst«) und Rätselhaftes (»die massigen körper der kühe von so weit oben, winzige punkte / aus weiß; der wind, der an den feldsteinkirchen kaut. die kühe / von so weit oben / sind zart und zerbrechlich wie sanduhren, rieseln, fließen aus in ihre schatten, ins schwarz«). Mitunter scheint es, als würde Wagner insgeheim wünschen, aus den seltsamsten seiner Verse möge ein Böhmermann-Song entstehen, bei dessen Ausstrahlung er dann ironisch in seinen Fernsehapparat zwinkern könnte, ein paar tote Wiesel streichelnd: »wir hängten die hüte auf, wir hängten strick- / jacken und rahmen, hängten regenmäntel / in das mehl der fabeln eingetaucht / die ursuppe von teich / jedes der sechs augen / stark wie ein espresso«, what else?, »dem teekesselpfiff eines vogels / wie eine rohrpost durch die gänge jagend / der halo / von lachenden krankenschwestern über ihr / auf nichts als auf ihr eselsein bedacht / das ticken / des staubs / heute dampft kein fell / sie schienen etwas lehren zu wollen / bärtig von moos / ihrer glocke aus chitin«, gleich haben Sie’s überstanden, »die palmen nickten, nickten / wie pferdehälse im wind / nur das gespenst / des löwenzahns zog mühelos hindurch / mit einem firmament von mandarinen«; an Vitamin C jedenfalls scheint es Jan Wagner nicht zu mangeln.
Doch will der Mann denn überhaupt komisch sein? Leider ja: »aus der globusmanufaktur«: »einmal verlegte ich mein pausenbrot / in einer südhalbkugel, die noch einzeln / und offen war. nun träumt ein junge, bohrt / sich in der nase, sucht die sandwich-inseln«. Mahlzeit.