Humorkritik | Januar 2016

Januar 2016

»Ich schreibe einen Satz und muß lachen. Dann stimmt’s normalerweise.«
Rainald Goetz

Jack of all Trades

Die große Kunst von »Master of None« (Netflix, 2015) besteht darin, so zu tun, als handle es sich dabei um eine leicht zugängliche, sympathische und mehrheitsfähige Sitcom. Dabei ist sie doch mindestens drei Sitcoms. Derart unterschiedliche Ansätze und Ideen miteinander zu verschmelzen und dennoch eine Show zu erschaffen, die wie aus einem Guß wirkt, das riecht nach langjähriger Erfahrung – indes haben Aziz Ansari und Alan Yang, die beiden Macher, zwar ein paar Jahre zusammen bei »Parks and Recreation« (NBC) verbracht, wo Ansari den Tom Haverford spielte; »Master of None« ist aber beider erste eigene Serie.

Vieles hat sich Ansari von Louis C.K. und dessen Show »Louie« abgeschaut, etwa die quasi-authentische Hauptfigur: Ansaris Dev Shah ist ein erfolgloseres Alter Ego seiner selbst. Auch, wie die Hauptfigur den Rätseln und Abenteuern ihres Alltags freundlich und neugierig gegenübertritt, mit einem guten Schuß sympathischer Naivität, haben beide Serien gemeinsam. Viele Episoden von »Master of None« haben ein sehr konkretes Thema, das sie mit Dev und seinen Freunden Arnold (Eric Wareheim), Brian (Kelvin Yu) und Denise (Lena Waithe) durchspielen: Ob man Kinder haben sollte, wieviel Zivilcourage man braucht und wie Einwandererkinder mit ihren noch viel stärker in der ursprünglichen Heimat verwurzelten Eltern umgehen. Tatsächlich spielen Ansaris Eltern sich selbst, was zusätzliche Authentizitätspunkte gibt.

Doch neben solchen allgemeinen Fragen stellt »Master of None« dann plötzlich auch sehr spezifische: etwa die nach der Repräsentation von indischen Menschen in Film und Fernsehen. Ob jeder indische Taxifahrer im Film einen albernen indischen Akzent haben muß, warum das »Blackfacing« bei der Darstellung von Indern lange Zeit viel akzeptierter war als bei der von Schwarzen und daß man die Abstufungen von Minderheitenfeindlichkeit daran erkennen kann, wie viele Schwarze, Schwule oder eben Inder in einer Serie mitspielen dürfen (Inder: immer einer, nie zwei) – diesen Erörterungen hört man gerne zu.

Und dann gibt es noch Folgen ganz ohne Thema, ohne Fragen. Verblüfft sieht man da Dev und seiner Freundin Rachel (Noël Wells) eine ganze Folge lang dabei zu, wie sie einen gemeinsamen Ausflug nach Nashville unternehmen. Und es passiert: nichts. Da entsteht kein größerer Konflikt, Dev und Rachel spielen nur sehr flottes Dialog-Pingpong, alles ist nett und lustig – und dann ist die Folge vorbei, und man stellt bewundernd fest: Im Vergleich zur selbsterklärten »Show about nothing«, »Seinfeld«, war das aber mal wirklich about nothing. Und sehr wahr. Und sehr komisch.

Zuguterletzt ist »Master of None« dann nämlich eben auch das: von einer Wahrhaftigkeit, die aus einigen Folgen bestes Comedy-Drama macht. »Do you, Dev, take Rachel to be your partner in a possibly outdated institution in order to have a ›normal‹ life? Are you ready to give up an idealistic search for a soul mate and try to make it work with Rachel, so you can move forward in life?« fragt ein imaginärer Pastor bei einer imaginären Hochzeit Dev, um sich dann Rachel zuzuwenden: »And do you, Rachel, promise to make a crazy eternal bond with this gentleman who you happen to be dating at this stage in your life when people normally get married?« – »I do.« – »I now pronounce you two people who might realize they’ve made an unfortunate mistake in about three years.« Daß diese Traumsequenz nichts Gutes für Devs Liebe zu Rachel verheißt, man kann es sich denken.

»Master of None« ist dann also doch ein »Master of Most«, also mehr als ein »Jack of All Trades«, dem angelsächsischen Hansdampf in allen Gassen. Die sensationellen Kritiken, die die erste Staffel eingefahren hat, dürften es Netflix leicht machen, eine zweite in Auftrag zu geben.

 

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Sie, Romancier Robert Habeck,

Sie, Romancier Robert Habeck,

nehmen Ihren Nebenjob als Wirtschaftsminister wohl sehr ernst! So ernst, dass Sie durch eine Neuauflage Ihres zusammen mit Ihrer Ehefrau verfassten Romans »Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf« versuchen, fast im Alleingang dem darniederliegenden Literaturmarkt auf die Sprünge zu helfen. Könnten Sie sich als Nächstes das Zeitschriftensterben vorknöpfen?

Fragt Titanic

 Ganz, ganz sicher, unbekannter Ingenieur aus Mittelsachsen,

dass Du Deine Verteidigungsstrategie nicht überdenken willst? Unter uns, es klingt schon heftig, was Dir so alles vorgeworfen wird: Nach einem Crash sollst Du einem anderen Verkehrsteilnehmer gegenüber handgreiflich geworden sein, nur um dann Reißaus zu nehmen, als der Dir mit der Polizei kommen wollte.

Die beim wackeren Rückzug geäußerten Schmähungen, für die Du nun blechen sollst, wolltest Du vor dem Amtsgericht Freiberg dann aber doch nicht auf Dir sitzen lassen. Weder »Judensau« noch »Heil Hitler« willst Du gerufen haben, sondern lediglich »Du Sau« und »Fei bitter«. Magst Du das nicht noch mal mit Deinem Rechtsbeistand durchsprechen? Hast Du im fraglichen Moment nicht vielleicht doch eher Deinen Unmut über das wenig höfische Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers (»Kein Ritter!«) geäußert, hattest Deinen im selben Moment beschlossenen Abschied von den sozialen Medien (»Bye, Twitter!«) im Sinn, oder hast gar Deiner verspäteten Freude über die olympische Bronzemedaille des deutschen Ruder-Achters von 1936 (»Geil, Dritter!«) Ausdruck verliehen?

Nein? Du bleibst dabei? Und würdest dafür sogar ins Gefängnis gehen (»Fein, Gitter!«)?

Davor hat fast schon wieder Respekt: Titanic

 Damit hast Du nicht gerechnet, »Zeit online«!

Als Du fragtest: »Wie gut sind Sie in Mathe?«, wolltest Du uns da wieder einmal für dumm verkaufen? Logisch wissen wir, dass bei dieser einzigen Aufgabe, die Du uns gestellt hast (Z+), erstens der zweite Summand und zweitens der Mehrwert fehlt.

Bitte nachbessern: Titanic

 Keine Übertreibung, Mathias Richling,

sei die Behauptung, dass die Ampel »einen desaströsen Eindruck bei jedermann« hinterlasse, denn in den vielen Jahren Ihrer Karriere, so schilderten Sie’s den Stuttgarter Nachrichten, hätten Sie es noch nie erlebt, »dass ohne jegliche pointierte Bemerkung allein die bloße Nennung des Namens Ricarda Lang ein brüllendes Gelächter auslöst«.

Aber was bedeutet das? »Das bedeutet ja aber, zu Mitgliedern der aktuellen Bundesregierung muss man sich nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen.« Nun beruhigt uns einerseits, dass Ihr Publikum, das sich an Ihren Parodien von Helmut Kohl und Edmund Stoiber erfreut, wohl immerhin weiß, wer Ricarda Lang ist. Als beunruhigend empfinden wir hingegen, dass offenbar Sie nicht wissen, dass Lang gar kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung ist.

Muss sich dazu nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen: Titanic

 Huhu, »HNA« (»Hessische/Niedersächsische Allgemeine«)!

Mit großer Verblüffung lesen wir bei Dir in einem Testbericht: »Frischkäse ist kaum aus einem Haushalt in Deutschland wegzudenken.«

Och, Menno! Warum denn nicht? Und wenn wir uns nun ganz doll anstrengen? Wollen wir es denn, HNA, einmal gemeinsam versuchen? Also: Augen schließen, konzentrieren und – Achtung: hui! – weg damit! Uuuund: Futschikato! Einfach aus dem eigenen Haushalt weggedacht. Und war doch überhaupt nicht schlimm, oder?

Es dankt für die erfolgreiche Zusammenarbeit und hofft, einen kleinen Denkanstoß gegeben zu haben, wenn nicht gar einen Wegdenkanstoß: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dilemma

Zum Einschlafen Lämmer zählen und sich täglich über einen neuen Rekord freuen.

Michael Höfler

 Süße Erkenntnis

Für jemanden, der Pfirsich liebt, aber Maracuja hasst, hält die Welt viele Enttäuschungen bereit.

Karl Franz

 Nachwuchs

Den werdenden Eltern, die es genau mögen, empfehle ich meinen Babynamensvorschlag: Dean Norman.

Alice Brücher-Herpel

 3:6, 6:7, 0:6

Der Volontär in der Konferenz der Sportredaktion auf die Bitte, seine Story in drei Sätzen zu erzählen.

Ronnie Zumbühl

 Hellseherisch

Morgen ist einfach nicht mein Tag.

Theo Matthies

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
01.12.2023 Hamburg, Centralkomitee Hauck & Bauer
01.12.2023 Karben, Kulturscheune im Selzerbrunnenhof Pit Knorr & Die Eiligen Drei Könige
02.12.2023 Itzehoe, Lauschbar Hauck & Bauer
03.12.2023 Kassel, Studiobühne im Staatstheater Kassel Ella Carina Werner