Humorkritik | Januar 2016

Januar 2016

»Ich schreibe einen Satz und muß lachen. Dann stimmt’s normalerweise.«
Rainald Goetz

Genie des Holperns

These: Ohne exakte Rhythmik und ohne paßgenaue Reimverleimung keine komische Lyrik. Soll Sinn in Unsinn stürzen, muß der Weg dahin ein glatter sein, denn wenn man bei der Lektüre ständig auf Schlaglöcher achten muß, ist der Spaß an der Pointe vor der Zeit verdorben.

Hans Atom und seinem Gedichtband »Von Tieren, Kindern und anderen Grausamkeiten« (XS-Verlag) kann man eine Menge Holprigkeiten ankreiden. Und zwar leider auch ausgesprochen offensichtliche: »Habicht, Bussard, Specht/ kommen uns gerade recht« – wem hier nicht auffällt, daß in der ersten Zeile noch ein vierter zweisilbiger Vogel landen muß, sei es ein Geier, ein Reiher, ein Emu oder ein Kleiber, der hat noch nie ein klassisches Gedicht gelesen. Der Fehler ist deswegen so grob und auffällig, weil auch der Habicht, der Bussard und der Specht reines Zeilenfüllmaterial sind und es keinen inhaltlichen Grund gibt, auf einen vierten Vogel zu verzichten – außer eben, mutwillig den Rhythmus kaputtzumachen, der auch im intakten Zustand ohnehin bloß ein geknittelter wäre.

So rumpumpelt es auf beinahe jeder Seite. Und doch ist es verwunderlich: Hans Atom, der auf einem lyrischen Ohr völlig taub ist, hört auf dem anderen ausgesprochen gut. Manche der Schludrigkeiten sind nämlich ziemlich kunstvoll: »Der Witz von den Hirschen im Schneesturm« heißt ein Gedicht, und so hebt es an: »Ein Rudel Hirsche, das abends spät / in einen Schneesturm reingerät / sucht Schutz im Schutz der Dunkelheit / dieweil der Wind mit Eis rumspeit«. Hier stutze ich erst und staune dann: Über das edle Pathos der ersten Zeile, die erste kleine Brechung durch das Schlampwort »reingerät«, die phrasenparodistische Doppelung vom Schutz des Schutzes der Dunkelheit, das überraschende »Rumspeien« des Windes, in dem das Feuerspeien anklingt, obwohl es sich beim Gespieenen doch um dessen glattes Gegenteil, das Eis, handelt. Ja, hier tut sich seltsam Komik auf, irgendwo im Zusammenspiel von hohem Ton und hohlem Ton. Und Hans Atom beherrscht auch noch ein paar andere Dinge, die man ihm beim ersten Lesen nicht zugetraut hätte: die unterlaufene Erwartung bei zugleich korrektem Reim (»Das Karussell, das Karussell / das dreht sich«, ja denkste, »ganz schön langsam, gell?«), gewagte Verse (»Burger und Spareribs« auf »Würstl mit Pommes Frites«, »Tiere« auf pferdisches »Gewiehre«), Metaphern (»Scherbengrün ist Vorstadtstille / Trinker finden keinen Trost / längst in Scherben liegt der Wille / Stumpfsinn klingelt leise Prost«) und Wortschöpfungen (»ehrfurchtsfeucht«). Daß Magnus Klaue in seinem Nachwort mit Robert Gernhardt angaloppiert kommt, von »naiver Integrität« spricht, die, schau an, »Komik in gewisser Weise erst ausmacht«, und die Hans Atom mit der unfreiwilligen Komikerin Friederike Kempner (1828–1904) verbinde – dem mag ich nicht folgen, so weit mag ich in keine Richtung gehen: Hans Atom ist weder eine neue Kempner, dafür ist er zu bewußt, noch ein neuer Gernhardt, dafür hapert es zu deutlich am Handwerk. Er ist vielleicht – was weiß denn ich – eine Kreuzung aus Eugen Roth und H.P. Lovecraft, ein merkwürdig Menschelnder inmitten kosmischer Kälte. Jedenfalls aber ist er eines: ein Dichter, den ich nur Lesern mit starken Nerven empfehlen kann.

 

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt