Humorkritik | Februar 2015

Februar 2015

Der Humor entspringt aus dem Gemüte, es hat also der ganze Mensch, der religiöse und sittliche, der denkende und empfindende Mensch daran Anteil.
Christian Oeser

Wohl bekomm’s

Wer kühn genug ist, sich durch sämtliche Sitcoms zu gucken, die in den vergangenen Jahrzehnten aus den Vereinigten Staaten von Amerika herübergeflossen sind, kommt an dem Namen Chuck Lorre nicht vorbei. Bei so gut wie jedem Format ist er als Produzent, Regisseur, Drehbuchautor oder gar Schöpfer aufgelistet. Doch so verläßlich sein Mitwirken, so durchwachsen ist seine Humorbilanz. Schließlich beteiligte er sich dereinst nicht nur so maßgeblich wie erfolgreich an der warmherzigen Proloklamotte »Roseanne« und der zuweilen doch recht entzückenden Pärchenkomödie »Dharma und Greg« und läßt seit 2007 die putzigen Nerds aus »The Big Bang Theory« durch eine recht erfreuliche Erzählung stolpern, sondern ist eben auch für den abgehalfterten Frauenhelden Charlie aus »Two and a Half Men« verantwortlich, der sich angestrengt von einem angesäuselten Altherrenwitz in den nächsten strampelte, bis er nach seinem unrühmlichen Ausstieg von seinem laschen Nachfolger (Asthon Kutcher) abgelöst wurde.

Auffällig setzt Lorre dabei seit jeher auf gesellschaftliche Randfiguren, deren durchschnittliche bis deprimierende Existenz gnadenlos auf Lacher abgemolken wird. Und so zeigt er nach dem drolligen Fettenduo aus »Mike & Molly« in seiner neuesten Schöpfung »Mom« Anna Faris als rekonvaleszierende Alki-Mutti Christy, die sich in einer zeitgemäßen Nachbildung seiner Neunziger-Jahre-Serie »Grace« alleinerziehend durch Nüchternheit, Job und Mamasein kämpft. Was die wenig Überraschungen bietende Dramaturgie der tüchtig gegen ihre vergangenen Verfehlungen anulkenden Mittdreißigerin allenfalls im Alptraum erlaubt, nämlich Ausfälle, Rückfälle und sonstige Kontrollverluste, gestattet das Drehbuch der hübschen, zotigen und ebenfalls alkoholkranken Omi. Diese darf dann gerne mal besoffen und anzüglich durchs Bild wanken, die Anzeichen ihrer beginnenden Menopause mit denen einer ungewollten Schwangerschaft verwechseln, ihren Enkel beim Kartenspiel um sein letztes Taschengeld betrügen oder, nach einer Abfuhr vom schnöseligen Chefkoch Rudy, genüßlich dessen erlesene Weinsammlung mit einem Baseballschläger zertrümmern. Christy hingegen müht sich tapfer, alles gut und es allen recht zu machen. In einer soliden Slapstickdarbietung verstaucht sie sich erst Fuß, dann Hand und versucht derart lädiert auch noch, heiße Suppenteller zu kellnern – einer muß halt das Geld verdienen –, so daß ihr Chef sie nach Hause schicken und zur Erholung zwingen muß. Dabei bleibt sie trotz aller Nervenaufreibung niedlich, schusselig, höchstens etwas kratzbürstig, aber vor allem trocken, will Lorre dem Zuschauer doch die dem Alkoholismus eigene Kaputtheit nur in wohlbekömmlichen Dosen zumuten. Letztlich erzeugt Lorres jüngste Sitcom eine unbestimmte Sehnsucht nach genau so einer märchenhaft maroden Familienidylle, die gar nicht märchenhaft wäre, wäre sie echt. Eben eine schöngesoffene Kitschversion vom bösen, traurigen Reallife. Warum eigentlich nicht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Whaaaaaat, Michael Kretschmer?

Whaaaaaat, Michael Kretschmer?

»Tausende Bürgergeldempfänger könnten arbeiten, verweigern dies jedoch und bekommen so Geld vom Staat, für das die Steuerzahler hart arbeiten.«

Oha, Tausende Menschen? Das ist natürlich skandalös! Das sind ja Zahlen im vierstelligen Bereich. Wie soll sich ein Land wie Deutschland mit einer Einwohnerzahl im lediglich achtstelligen Bereich (das ist nur doppelt so viel!) das leisten können? Unter Umständen sind das ungefähr so viele Menschen, wie in Großröhrsdorf wohnen! Ein Glück, dass Sie, Kretschmer, Geld vom Staat bekommen, um solche Zahlen fachmännisch für uns einzuordnen!

Zählt zur Sicherheit noch mal an den eigenen Fingern nach:

Ihre Titanic

 It’s us, hi, Kulturwissenschaftler Jörn Glasenapp!

Dass Sie als Verfasser einer Taylor-Swift-Monographie Ihren Gegenstand öffentlich verteidigen, etwa im Deutschlandfunk Nova oder bei Zeit Campus: geschenkt. Allein, die Argumente, derer Sie sich dafür bedienen, scheinen uns sanft fragwürdig: Kritik an Swift sei eine Sache »alter weißer Männer«, im Feuilleton herrsche immer noch König Adorno, weshalb dort Pop und »Kulturindustrie« unentwegt verdammt würden, und überhaupt sei die zelebrierte Verachtung des Massengeschmacks eine ausgesprochen wohlfeile Methode, Distinktion zu erzeugen, usw.

Je nun, Glasenapp: Wir sind in der privilegierten Position, dass es uns erst mal egal sein kann, ob Taylor Swift nun gute Kunst macht oder schlechte. Wir sind da pragmatisch: Manchmal macht das Lästern Spaß, manchmal der Applaus, je nachdem, wer sich gerade darüber ärgert. An Ihnen fällt uns bloß auf, dass Sie selbst so ein peinlicher Distinktionswicht sind! Denn wenn unter alten weißen Männern Swiftkritik tatsächlich Konsens und Massensport ist, dann sind Sie (*1970) wieder nur der eine nervige Quertreiber, der sich abheben will und dazwischenquäkt: Also ich find’s eigentlich ganz gut!

Finden das eigentlich auch ganz gut: Ihre Affirmations-Aficionados von Titanic

 Hoffentlich klappt’s, Künstlerin Marina Abramović (77)!

Sie wollen gern mindestens 103 Jahre alt werden. Alt zu sein sei in der Kultur des Balkans, im Gegensatz zu der Nordamerikas, etwas Großartiges. Sie seien »neugierig wie eine Fünfjährige« und wollen noch schwarze Löcher und Außerirdische sehen.

Wir wollen auch, dass Sie Außerirdische sehen bzw. dass die Außerirdischen Sie sehen, Abramović. Wenn Sie die Extraterrestrischen, die, wie wir aus diversen Blockbuster-Filmen wissen, nichts Gutes im Schilde führen, mit einer Ihrer verstörenden Performances voll Nacktheit, Grenzüberschreitung und Selbstgefährdung begrüßen, wenden sie sich vielleicht doch von uns ab.

Kommt stets in Frieden: Titanic

 U sure, Jürgen Klopp?

U sure, Jürgen Klopp?

Nachdem Sie Ihren Posten beim FC Liverpool niedergelegt haben, halten Sie sich in Sachen Zukunftspläne bedeckt. Nur so viel: »Ich werde irgendwas arbeiten. Ich bin zu jung, um nur noch Padel-Tennis und Enkelkinder zu machen.«

Keine Ahnung, wie Sie sich den typischen Alltag im Ruhestand so vorstellen, Kloppo. Doch wenn Menschen fortgeschrittenen Alters Nachwuchs zeugen, heißt das Ergebnis – zumindest in den meisten Fällen – »Kinder« und nicht »Enkelkinder«.

Schwant Böses: Titanic

 Huhu, »Tagespost«, Würzburg!

Du bist die einzige überregionale katholische Wochenzeitung in Deutschland und freust Dich in einem Kommentar, dass die Deutsche Bischofskonferenz die spektakuläre Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Paris verurteilt, weil auch sie in dem dort veranstalteten Bacchanal eine Abendmahlparodie gesehen haben will. Du hältst es jedoch für überflüssig, dass die Bischöfe dabei meinen, »zur Rechtfertigung ihrer Kritik auf die religiösen Gefühle anderer Religionen Bezug nehmen zu müssen. Warum nicht einfach die blasphemische Verhöhnung Christi und jenes Abends, in der das Sakrament der Eucharistie eingesetzt wurde, in aller Deutlichkeit und Direktheit verurteilen?« Exakt!

In welcher Form soll dies geschehen, was schlägst Du vor? »Gefragt wäre freilich keine künstliche Empörung, kein moralisches Aufplustern, sondern der authentische Ausdruck der Überzeugung, dass Gott seiner nicht spotten lässt, und die wohl schlimmste Sünde, die ein Mensch begehen kann, die Gotteslästerung ist.«

Waaas, Tagespost? Gotteslästerung schlimmer als Hostiendiebstahl, Kreditkartenbetrug und Völkermord? Und sogar schlimmer als Unzucht, Abtreibung und Selbstbefleckung?

Wenn Du das so siehst, dann kündigt wutschnaubend das Abo: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Etwas Heißem auf der Spur

Jedes Mal, wenn ich mir im Hochsommer bei herabgelassenen Rollläden oder aufgespanntem Regenschirm vergegenwärtige, dass das Leben in unseren versiegelten Städten auf entsetzlich wechselhafte Weise öde und klimatisch vollkommen unerträglich geworden ist, frage ich mich unwillkürlich: TUI bono?

Mark-Stefan Tietze

 Bilden Sie mal einen Satz mit »AKW«

Der Bauer tat sich seinen Zeh
beim Pflügen auf dem AK W.

Jürgen Miedl

 Unwirtliche Orte …

… sind die ohne Kneipe.

Günter Flott

 Treehuggers

Bei aller Liebe zum Veganismus: Plant Parenthood geht mir zu weit.

Sebastian Maschuw

 Hä?

Demenz kennt kein Alter.

Moppel Wehnemann

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

  • 27.08.: Bernd Eilert schreibt in der FAZ über den französischen Maler Marcel Bascoulard.
  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

  • 29.01.:

    Ein Nachruf auf Anna Poth von Christian Y. Schmidt im ND.

  • 13.04.:

    HR2 Kultur über eine TITANIC-Lesung mit Katinka Buddenkotte im Club Voltaire.

Titanic unterwegs
13.09.2024 Stade, Schwedenspeicher Ella Carina Werner
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer
17.09.2024 Stadthagen, Wilhelm-Busch-Gymnasium Wilhelm-Busch-Preis Hilke Raddatz mit Bernd Eilert