Humorkritik | Februar 2015

Februar 2015

Der Humor entspringt aus dem Gemüte, es hat also der ganze Mensch, der religiöse und sittliche, der denkende und empfindende Mensch daran Anteil.
Christian Oeser

Storchs Wigwam

TITANIC-Lesern ist Wenzel Storch als Deutschlands bester Regisseur bekannt. In seinen jungen Jahren hat er als Meßdiener eine schwere Klerikalvergiftung erlitten und überlebt und sie später in seinen Spielfilmen »Der Glanz dieser Tage«, »Sommer der Liebe« und »Die Reise ins Glück« auch künstlerisch glanzvoll bewältigt. Wer als Leser schwiemeliger katholischer Zeitschriften wie Echo der Liebe, Stadt Gottes, Missio Aktuell und Der Weinberg aufgewachsen ist, der könnte ebensogut lebenslänglich einen verzehrenden Haß auf die Kirche mit sich herumtragen. Storch hingegen hat in seinen Filmen und auch in einer üppig illustrierten Artikelreihe in Konkret das Komische und Groteske der katholischen Propagandaliteratur seiner Jugendzeit anschaulich dargestellt und alles dem Gelächter einer glücklicheren Nachwelt preisgegeben.

Dies ist ihm auch in seinem ersten Theaterstück gelungen. Es heißt »Komm in meinen Wigwam« und wird seit Oktober 2014 in unregelmäßigen Abständen, aber mit großem Erfolg im Studio des Dortmunder Schauspielhauses aufgeführt, in einer Inszenierung des Autors selbst, mit zahlreichen Laiendarstellern in historischen Kostümen der sechziger Jahre. Das staunende Publikum erblickt Kniebundlederhosen, Zopfschnecken und phallische Maiskolben, es erklingen Lieder wie »Herr, hier bin ich, komm und nimm mich«, und es werden die schauerlich-schönsten Zitate aus Traktaten wie »S-O-S, wir landen im Kloster«, »Der fliegende Pater in Afrika« und »Peter legt die Latte höher« dem Vergessen entrissen.

Hinzu kommen Einsprengsel aus der zeitgenössischen Trivialkultur – Schlager, Filmplakate, Comics –, und dank Storchs Assoziationskraft treten am Rande auch Peter Hacks, Arno Schmidt und Walter Kempowski in Erscheinung. Dramaturgisch ist das Ganze als Bunter Abend angelegt, in dem sehr vieles Platz hat. Reminiszenzen an die Luftkämpfe des Zweiten Weltkriegs werden mit den Mitteln der Augsburger Puppenkiste in Szene gesetzt, und es wirkt völlig plausibel, wenn die Darsteller zwischendurch popcorngefüllte Klingelbeutel herumreichen.

Den Katholischen Medienpreis wird Wenzel Storch dafür sicherlich nicht erhalten, obwohl er mit seinem Stück ein viel größeres kirchliches Traditonsbewußtsein beweist als die Una Sancta Ecclesia, die sich ihrer populären Glaubensapostel aus der Nachkriegszeit inzwischen schamhaft entledigt hat. Einer der Wüstesten und Fruchtbarsten, Monsignore Berthold Lutz aus Würzburg, wird im offiziösen »Biographisch-bibliographischen Kirchenlexikon« mit keinem Wort erwähnt. Die Empörung über diesen Akt der nachträglichen Selbstzensur hat Storch einem Privatgelehrten aus Heiligenhafen auf den Leib geschrieben: »Katholischer Trash? Dafür sind sich die Herren vom BBKL wohl zu fein! Alte katholische Sexliteratur? Fehlanzeige!«

Man könnte einwenden, daß es müßig sei, die Schriften halb oder gänzlich vergessener Gottesmänner dritten bis achten Ranges wieder auszugraben, doch ich kann bezeugen, daß bei der Aufführung, die ich besucht habe, auch die sichtlich später als 1980 geborenen Zuschauer sich vor Lachen gebogen haben. Und es ist das gute Recht eines einstigen Meßdieners, die Geister, die ihn in seiner Pubertät umspukten, in einer schreiend komischen Nummernrevue unserer Schadenfreude auszuliefern und damit sogar noch etwas zu unserer Bildung beizutragen: So war das also, damals, als verklemmte, notgeile Kapläne auf die Jugend losgelassen wurden …

Wenzel Storch ist jetzt auch Deutschlands bester Theaterregisseur.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Diese Steilvorlage, Kristina Dunz (»Redaktionsnetzwerk Deutschland«),

wollten Sie nicht liegenlassen. Die Fußballnation hatte sich gerade mit der EM-Viertelfinalniederlage gegen Spanien angefreundet, der verlorene Titel schien durch kollektive Berauschtheit an der eigenen vermeintlich weltoffenen Gastgeberleistung sowie durch die Aussicht auf vier Jahre passiv-aggressives Gemecker über die selbstverständlich indiskutable Schiedsrichterleistung (»Klarer Handelfmeter!«) mehr als wiedergutgemacht, da wussten Sie einen draufzusetzen. Denn wie es Trainer Julian Nagelsmann verstanden habe, »eine sowohl fußballerisch als auch mental starke National-Elf zu bilden«, die »zupackt und verbindet«, hinter der sich »Menschen versammeln« können und der auch »ausländische Fans Respekt zollen«, und zwar »auf Deutsch« – das traf genau die richtige Mischung aus von sich selbst berauschter Pseudobescheidenheit und nationaler Erlösungsfantasie, die eigentlich bei bundespräsidialen Gratulationsreden fällig wird, auf die wir dank des Ausscheidens der Mannschaft aber sonst hätten verzichten müssen.

Versammelt sich lieber vorm Tresen als hinter elf Deppen: Titanic

 Hello, Herzogin Kate!

Hello, Herzogin Kate!

Ihr erster öffentlicher Auftritt seit Bekanntmachung Ihrer Krebserkrankung wurde von der Yellow Press mit geistreichen Überschriften wie »It’s just Kate to see you again« oder »Kate to have you back« bedacht.

Und bei solchen Wortspielen darf unsereins natürlich nicht fehlen! Was halten Sie von »Das Kate uns am Arsch vorbei«, »Danach Kate kein Hahn« oder »Das interessiert uns einen feuchten Katericht«?

Wie immer genervt vom royalen Kateöse: Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

 Du wiederum, »Spiegel«,

bleibst in der NBA, der Basketball-Profiliga der Männer in den USA, am Ball und berichtest über die Vertragsverlängerung des Superstars LeBron James. »Neuer Lakers-Vertrag – LeBron James verzichtet offenbar auf Spitzengehalt«, vermeldest Du aufgeregt.

Entsetzt, Spiegel, müssen wir feststellen, dass unsere Vorstellung von einem guten Einkommen offenbar um einiges weiter von der Deiner Redakteur/innen entfernt ist als bislang gedacht. Andere Angebote hin oder her: 93 Millionen Euro für zwei Jahre Bällewerfen hätten wir jetzt schon unter »Spitzengehalt« eingeordnet. Reichtum ist wohl tatsächlich eine Frage der Perspektive.

Arm, aber sexy: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster