Humorkritik | Februar 2015
Februar 2015
Der Humor entspringt aus dem Gemüte, es hat also der ganze Mensch, der religiöse und sittliche, der denkende und empfindende Mensch daran Anteil.
Christian Oeser
Les Amis de Charlie
So viele Freunde hatte die Satire selten. Nach den Anschlägen von Paris zeigten sich gänzlich witzlose Gestalten wie Merkel oder Abbas plötzlich als Freunde derber Zoten; da fanden sich, in einem seltenen Fall von homologer Arschlochgesinnung, verwirrte Linke und religiöse Rechte in dem gemeinsamen Urteil, Satire sei ja eine tolle Sache, Charlie Hebdo allerdings leider rassistisch, chauvinistisch und auf der Seite der weißen Mehrheit gewesen – als handelte es sich bei dem linksliberalen Blatt, das sich durchweg gegen Le Pen, für Zuwanderung und für die Homo-Ehe eingesetzt hat wie nur irgendein Juso-Vorsitzender, um einen zweiten Jyllands-Posten. Stets aber waren die Urteile rein politischer Natur; nie wurde unterm Trauerflor gejuxt; die Komik, für die die armen Kollegen ermordet wurden, blieb mit ihnen auf der Strecke.
Ich muß zugeben, daß nach meinem Gefühl nur immer jeder dritte Charlie-Witz so richtig saß; bei einem Blatt, das jede Woche ca. vierzig Cartoons zusammenrührt, muß zwingend der ein oder andere Schnellschuß dabeisein. Allerdings auch manches Kabinettstück: Über den Scherz mit dem weinenden Propheten etwa – »Es ist hart, von Idioten geliebt zu werden« – habe ich mich sehr gefreut, weil er die religiösen Sensibilitäten gleichzeitig ernst nimmt und veralbert. Mohammed wird abgebildet und doch nicht abgebildet, denn die Augenpartie ist verdeckt; der wahre Islam wird gegen die Islamisten ausgespielt und zugleich Religiosität insgesamt lächerlich gemacht.
Von anderen Witzen war ich eher etwas genervt, wie etwa von dem mit dem unbekleideten Mohammed, in dessen Anus ein Stern (»a star«) steckte und der sich 2012 auf den Film »Innocence of Muslims« bezog. Gut, hier hat man alles, was einen Aufreger abgibt: der Prophet nackt, in anzüglicher Pose, die Autoritätsperson vollständig entwürdigt – aber ist das komisch? Je mehr man darüber nachdenkt, um so mehr verflüchtigt sich die der ersten Provokation geschuldete Erheiterung. Der Zeichner hält es offenbar für Unsinn, daß sich Mohammedfilme werden durchsetzen können – doch warum? Daß Mohammed ein anrüchiges Leben führte, ist ja auch die Grundaussage von »Innocence«, die hier einfach nur wiederholt wird. Und wieso bedeutet »Filmstar« gleich Nacktmodel? Hier geht doch wohl einiges durcheinander.
Bei vielen TITANIC-Kollegen lösten Cartoons von Charlie Hebdo, so provokant sie gemeint waren, meist eher Stirnrunzeln als Gelächter aus, was auch daran liegt, daß Satire in Frankreich grundsätzlich anders funktioniert als in Resteuropa; sie ist fortschrittlicher und konservativer zugleich. Fortschrittlicher, weil die französische Debattenkultur eben nicht den Konsens, sondern die Polarisierung belohnt; daher ist das Aggressionslevel einzelner Meinungsbeiträge immer schon höher als anderswo, deswegen wirkt manche Zeichnung für uns übertrieben hart, verbissen, ideologisch. Konservativer, weil Satire hier nicht das Schmuddelkind der Presse oder in sich selbst ruhende Kunstform ist, sondern die Königsdisziplin, die avancierteste Form von Journalismus. So werden nirgendwo sonst Redakteure und Autoren derart gut bezahlt wie beim Canard enchainé, bei dem es sich weniger um eine Satirezeitung handelt als um ein polemisch gefärbtes Debattenblatt, das auch Cartoons führt. So konnten Chefredakteure von Charlie Hebdo nach ihrer Amtszeit direkt als Topmanager beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk einsteigen – in Deutschland undenkbar. Der fast hoheitliche Rang, den das Genre in Frankreich hat, dieses konservative Moment sorgt aber auch für eine gewisse formale Trägheit: Die brutal-anarchische Satire aus USA und Großbritannien, die in den letzten zwanzig Jahren den deutschen Humor tüchtig aufgemöbelt hat, fiel hier auf weitaus weniger fruchtbaren Boden. Viele der Charlie-Hebdo-Zeichnungen stehen in der alteuropäischen Tradition der allegorischen Karikatur, oft eignet ihnen etwas fast rührend Opahaftes: Da wird Leuten noch der Teppich unter den Füßen weggezogen, wird der politische Gegner durch den Fleischwolf gedreht, man schaut in Wahrsagekugeln und läßt Friedenstauben flattern, als wäre das 19. Jahrhundert nie zu Ende gegangen.
Jetzt, da wir alle ein bißchen Charlie sind und sich jeder für einen mutigen Satiriker hält, wird dieser in die Jahre gekommene Stil wohl wieder den Ton angeben, werden formal radikalere Formate hingegen wieder als »meta« und »ausweichend« abgewertet werden. Es wird lange dauern, bis sich die Gattung einigermaßen erholt hat – gerade auch von ihren Freunden.