Humorkritik | September 2014

September 2014

Rätselhafte Isländer

Im April d.J. hatte ich einem Fan Jón Gnarrs versprochen, mich mit dessen Sitcom »Næturvaktin« eingehender zu beschäftigen – und, freuen Sie sich: Endlich bin ich dazu gekommen. Festzustellen ist: Der isländische Komiker (und zwischenzeitliche Bürgermeister von Reykjavík) Gnarr muß etwas sehr richtig gemacht haben mit seiner Figur des Georg Bjarnfreðarson. Sonst hätte er wohl kaum drei eigene Sitcoms im isländischen Fernsehen bekommen (»Nachtschicht«, »Tagschicht«, »Gefängnisschicht«, 2007–09) und einen Spielfilm noch dazu (»Herr Bjarnfreðarson«, 2009). Von einem vor Jahren geplanten US-Remake der Serie allerdings hat man schon lange nichts mehr gehört. Das ist schade.

Denn einerseits ist es knifflig, »Nachtschicht« auf DVD zu sehen. Zu viel komisches Timing, zu viele Feinheiten im Wortwitz gehen verloren, wenn man Comedy auf Isländisch mit englischen Untertiteln sehen muß. Wenn es sie denn gegeben haben sollte. Das halte ich nicht für ausgeschlossen, aber mein Wissen über isländische Kultur und Sprache bewegt sich auch in engen Grenzen. Andererseits aber fehlt mir, universal gesprochen, bei »Nachtschicht« zu deutlich ein Alleinstellungsmerkmal. Die Grundsituation ist sehr geläufig: ein unfähiger, selbstverliebter Chef, hier der (Nacht-)Schichtleiter einer Tankstelle, der seine Umwelt schikaniert, allen voran seine Angestellten und seinen zehnjährigen Sohn. Das habe ich in Variationen schon sehr, sehr oft gesehen, und die vorliegende Variation ist zwar eine isländische, aber eben nicht mehr. Und ihre konkrete Umsetzung fügt ebenfalls nichts hinzu: das ewig gleiche Setting an der Tankstelle, ohne jeden Schauplatzwechsel, noch dazu bei Nacht, viele Dialoge und wenig visuelle Reize – das macht es sehr schwierig, sich als deutscher Fernsehgucker für die Serie zu erwärmen.

Ich vermute aber stark, daß für Isländer schon die englische Humorfarbe genügt hat, »Nachtschicht« zwischen anderen isländischen Fernsehproduktionen angenehm hervorstechen zu lassen; so, wie das hierzulande »Stromberg« geschafft hat. Gleiches dürfte womöglich für den »Bjarnfreðarson«-Film gelten: Er hatte eventuell einfach wenig Konkurrenz und konnte deshalb auf der kalten, dunklen, unwirtlichen Insel als komisches Erweckungserlebnis wahrgenommen werden.

Um so lieber würde ich tatsächlich ein US-Remake sehen. In den Händen von erfahrenen Produzenten und Autoren würde sich zeigen, ob Gnarrs Geschichten um den despotischen Tankstellenchef tatsächlich tragen. Wenn man zu den Momenten von Charakter-Comedy ordentlich Gags zuschießt, das Profil einiger Nebenfiguren schärft und mit größerem Budget auch ein paar optische Reize bietet: womöglich.

Daß von diesem Remake aber weit und breit nichts zu sehen ist, legt den Verdacht nahe: Gnarrs komisches Werk ist vielleicht für isländische Verhältnisse neu, unerwartet, wer weiß sogar revolutionär – für den Rest der Welt aber nicht ganz so sehr.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner