Humorkritik | Mai 2014

Mai 2014

Empathie statt Fallhöhe

Von der Kritik wird George Saunders’ »Zehnter Dezember« (Luchterhand) durchweg gefeiert, vermutlich zu Recht. Daß der Erzählungsband allerdings übermäßig »witzig« oder »komisch« sei, wie es Klappentext und viele Rezensenten behaupten, vermag ich nicht zu erkennen. Dazu fehlt es in den zehn Geschichten doch erheblich an Fallhöhe: Ihre Protagonisten sind fast ausnahmslos Gescheiterte im wirtschaftlichen und emotionalen Dauerwettbewerb, die es schließlich vollends aus der Bahn wirft. Zwar nutzen zwei in die Zukunft verlegte längere Stories (»Die Semplica-Girl-Tagebücher«, »Flucht aus dem Spinnenkopf«) grelle satirische Mittel zur kritischen Attacke auf Statuskämpfe, Drittweltausbeutung, Psychodrogen und Gefängnisindustrie; da Saunders aber stets aus dem Blickwinkel seiner Antihelden erzählt, der von deren Absturzängsten und Selbsttäuschungen bestimmt ist, erzeugt er viel eher Mitgefühl und Beklemmung als Gelächter.

Ein Gefühl wie kurz vor dem Lachen hatte ich höchstens beim abgrenzungsbewußten Räsonnement der Mittelschichtsmutter in »Welpe«, die ihrer Tochter in einem verlotterten Privathaushalt ein Haustier kaufen möchte: »Na schön, na gut, dann würde sie eben einen Hund von ungepflegten weißen Asozialen adoptieren. Haha. Sie konnten ihn Zeke nennen, ihm eine kleine Maiskolbenpfeife und einen Strohhut kaufen. Sie stellte sich den Welpen vor, wie er gerade auf den Teppich gekackt hatte und zu ihr hochschaute, kann nich anners.« Und sehr gewitzt erschien mir in »Flucht aus dem Spinnenkopf«, wie sich die das Sprachniveau hebende Droge »Verbaluce™« auf den Stil des inhaftierten Ich-Erzählers auswirkt: wie sie ihm Wortschatz und Grammatik aufbläst und nach einer Weile wieder zusammenfallen läßt.

Aber hier wie da: Zum Lachen ist es eigentlich nicht. Und »komisch« vielmehr, daß schonungslose Kritik mittlerweile so genannt wird.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt